14. Mai 2014

5:00 Uhr ...

Vizepräsident Ernst Wolfgang Eichler wirft in der Juni-Ausgabe 2014 des Deutschen Architektenblattes die Frage auf: Was hätte sein können, wenn am Nürburgring herausragende Architektur entstanden wäre?

Am 5. Juni 1966: Mein Vater weckt uns; mit ihm und meinem älteren Bruder geht’s heute zum 1000 Kilometer- Rennen auf dem Nürburgring - über Land versteht sich, die A61 gab‘s noch nicht. Mein Bruder erinnert sich noch heute an den erstmals eingesetzten ZDF-Porsche 904 GTS und den legendären Chaparall, mir ist der überall blühende Ginster - von den Einheimischen liebevoll „Eifelgold“ genannt - unvergessen. In der Morgensonne strahlt das Gelb besonders intensiv und begleitet uns auf den letzten Kilometern bis zur Rennstrecke, nimmt auch dort kein Ende; die Piste ist eingebettet in die Landschaft, ganz im Sinne von Dr. Otto Creutz, der ihr 1927 bewusst den Charakter einer Landstraße geben wollte - eine wunderschön geplante Symbiose von Motorsport und Natur, die fast ein halbes Jahrhundert den Ruf des Rings mitträgt; soweit der Rückblick. 43 Jahre später werde ich zur Entwicklung unterhalb der Nürburg in einem „Klartext“ schreiben; “Wir sollten Preise vergeben für miserable Beiträge zur Baukultur unseres Landes, am besten in Form von bis zu 3 „Eifelmaß“. Die erste Maß für größtmögliche Stilpanscherei in der Architektur, die zweite für rücksichtslose Verschandelung einer historisch bedeutsamen Landschaft und die dritte für die Vernachlässigung identitätsstiftender Merkmale in der Projektentwicklung. Das Eifeldorf „Grüne Hölle“ beleidigt die Menschen in der Region und in Rheinland- Pfalz; sie hätten Besseres verdient. Dafür ist der Preis allemal gerechtfertigt, 3 volle Maß … ein 3x hoch“ - hart ist das Urteil, doch durch den weiteren Lauf der Dinge bis heute bestätigt.

Was war geschehen? Die Strecke war gefährlich, forderte immer wieder Todesopfer und musste nach den 70ern dringend sicherheitstechnisch verbessert und der Rennsportentwicklung angepasst werden. Keine leichte Aufgabe für Politik und Betreiber, denn neben der Konkurrenz Hockenheim drücken die hohen Investitionen und Antrittsgelder in Millionenhöhe auf die Bilanzen. Zudem ist die Strukturschwäche der Eifelregion eine schwere Hypothek. Zweifelsohne gab es Handlungsbedarf, und man kann der Regierung Beck lauterste Absichten unterstellen, als sie mit dem Projekt „Nürburgring 2009“ eine weitgreifende Lösung der Probleme in Angriff nahm.

Gut gemeint ist aber noch lange nicht gut gemacht, und nun muss bezahlt werden für etwas, was tatsächlich nichts hätte kosten müssen, wäre das Konzept aufgegangen.

Juristisch fokussiert der Blick auf Ingolf Deubel und das entstandene Finanzierungsdebakel, politisch hat Kurt Beck die volle Verantwortung für gemachte Fehler übernommen - wohlgemerkt ohne persönliche Konsequenz - und damit all denen Generalamnestie gespendet, die im Falle eines Erfolgs doch so gerne Väter gewesen wären. War’s das? Stellt sich keiner der vielen Verantwortlichen, Befürworter und Ja-Sager in Geschäftsführung, Vorstand, Aufsichtsrat, Ministerien, Landtag, Kreisen und Kommunen - Vertreter jeder Couleur - die Frage, warum sich 330 Mio. in Nichts aufgelöst haben? Ja, in Nichts, denn nur das bekannte Milchmädchen zieht noch 77 Mio. Verkaufserlös ab, die der Ring doch schon vorher wert war, zieht man die Abrisskosten für den gebauten Sperrmüll ab. Alle, die in Verantwortung für Staat und Bürger dem Projekt zustimmten, haben sich doch blenden lassen von unseriösen Finanzvermittlern, dubiosen Beratern und nicht zuletzt - auch das muss raus - von namentlich nicht benannten Architektenkollegen, deren Entwürfe und Bildchen keine Erstsemesterkorrektur überstanden und schon gar keinen Studienabschluss gerechtfertigt hätten; sie alle haben gut verdient am Nürburgring. Hunderte hochqualifi zierter Stadtplaner, Hochbau-, Innen- und Landschaftsarchitekten in Rheinland-Pfalz, der Bundesrepublik und in Europa wurden nicht nach Lösungen gefragt.

Während dem Einkauf behördlichen Toilettenpapiers eine ordentliche Ausschreibung, Preis- und Papierlagenvergleiche vorausgehen, wurde eine komplexe Infrastrukturmaßnahme mit Verkehrs- und Hochbau, Landschafts- und Außenanlagengestaltung selbsternannten Fachleuten anvertraut, die das Planen nie gelernt haben - ohne sich Alternativen zeigen und in der Auswahl beraten zu lassen; das ist der eigentliche Skandal - ein ausgesucht gutes Ergebnis hätten die Bürger gerne bezahlt.

Wo, wenn nicht hier, hätten korrekte Bedarfsanalyse und klare Aufgabenstellung am Anfang allen Handelns stehen müssen? Wo, wenn nicht hier, hätte jeder Entscheidungsträger seine eigene Kompetenz in Frage stellen müssen? Wo, wenn nicht hier, hätte man Selbstherrlichkeit und -überschätzung hinter professionelle Beratung stellen müssen? Wo, wenn nicht hier, hätte man mit den Worten eines Autobauers sagen müssen, für 330 Mio. wollen wir für die Bürger „das Beste oder Nichts“? Wo, wenn nicht hier, wäre ein internationaler Wettbewerb richtig gewesen?

Für soviel Geld hätte eine Attraktion mit Anspruch entstehen können, mehr als unterste Gewerbegebietsqualität. Womöglich wäre das Ziel eine Reise wert, die Besucherzahl sicher gewesen.

Zweierlei bleibt zu hoffen: dass das Land und die ihm mehrheitlich eigenen Unternehmen zukünftig das ihnen anvertraute Steuergeld erst nach ordentlichem Vergleich von Alternativen ausgeben, und dass der neue Eigentümer die Nachhaltigkeit von Investitionen besser in Blick und Griff hat. Vielleicht werde ich dann dereinst wieder mit Freude meine Enkel zur Fahrt zum Ring wecken … morgens um 5:00 Uhr. MEHR

Vizepräsident Ernst Wolfgang Eichler, Alzey,
Archivbeitrag vom 14. Mai 2014