18. August 2021

Vom Bauhaus bis zum Wohnen der Zukunft

Präsident Gerold Reker und Geschäftsführerin Dr. Elena Wiezorek auf einer Schaukel, herum gruppieren sich die Vorstandsmitglieder vor einer Weinlandschaft
Vorstandsklausur in Longuich bei Trier im März 2017: Berufspolitische Weichenstellung für die kommenden fünf Jahre in entspannt-konstruktiver Atmosphäre
Foto: Annette Müller, Mainz

Themen der IX. Wahlperiode – Der Kammervorstand zieht Bilanz

Dass die Coronapandemie mehr als anderthalb Jahre den Arbeitsalltag prägen würde, war nicht absehbar, als die IX. Vertreterversammlung im Februar 2017 erstmals zusammenkam. Mit Unterstützung des Vorstandes hatte sie sich fünf Arbeitsgruppen vorgenommen: durch die Organisation des BIM Symposiums die Digitalisierung des Planungswesens, die Förderung von Netzwerken kleiner und mittlerer Büros, Architekturvermittlung für Kinder und Jugendliche, die Zusammenarbeit von Bauämtern und freien Berufsangehörigen und die faire Vertragsgestaltung.

Vorstandsklausur in Longuich bei Trier im März 2017: Berufspolitische Weichenstellung für die kommenden Jahre in entspannt-konstruktiver Atmosphäre Sieben weitere Schwerpunkte setzte der Vorstand in seiner ersten Klausur im März 2017: das 100jährige Bauhausjubiläum sollte inhaltliche Klammer für viele Veranstaltungen des Jahres 2019 werden, Baukulturförderung konnte Hintergrund und argumentative Leitlinie für die berufspolitische Arbeit insgesamt bleiben, bezahlbares Wohnen, inklusives Planen und Gestalten sowie die strategische Stadtentwicklung bildeten die gesellschafts- und sozialpolitische Verankerung, Digitalisierung und der Erhalt der Trennung von Planung und Ausführung standen für die berufspraktischen Themen, Tourismus schließlich knüpfte an die Hoffnung baukultureller Entwicklung zahlreicher Regionen im Land an und nahm die BUGA 2029 als Langfristziel in den Blick.

Auf etwas mehr als halber Strecke kamen Corona und die Entscheidung des EuGH, die Mindest- und Höchstsätze der HOAI nicht weiter als verbindlich gelten zu lassen, dazwischen. Aktuell hat die Flutkatastrophe neue, noch unabsehbare Aufgaben aufgetürmt und die Dringlichkeit von klimaangepasstem, ressourcenschonendem Planen und Bauen unterstrichen. Ein ambitioniertes, breit gefächertes Programm also – Was wurde daraus?

Viel berufspolitische Alltagsarbeit, eine lange Reihe von erfolgreichen Umsetzungen und ein paar offene Zukunftsaufgaben – so könnte man die Bilanz knapp zusammenfassen. Ungesagt bliebe dabei, dass in den fünf Jahren alleine – und dies trotz der Coronapausen – rund 230 Gespräche mit Kommunal- und Landespolitik stattgefunden haben. Ungezählt blieben die Veranstaltungen in und mit dem Zentrum Baukultur in Mainz, der Kammer, der Kammergruppen und die vielen Kooperationen beispielsweise mit regionalen Baukulturinitiativen, kommunalen Spitzenverbänden, der Wohnungswirtschaft oder dem Bauministerium. Doch es geht nicht um Masse, sondern um besetzte Kernthemen:

Fortbildung und Freier Beruf

In der IX. Wahlperiode wurde – wie bundesweit üblich – die Überprüfung der Fortbildung auch in Rheinland-Pfalz mit einer jährlich zu ziehenden zehnprozentigen Stichprobenkontrolle eingeführt. Nachgewiesen werden müssen aktuell acht Unterrichtseinheiten. Dies spiegelt auch den Kerngedanken des Freien Berufes – ob in seiner angestellten und beamteten, freiberuflichen oder gewerblichen Ausübungsform: Alle Berufsangehörigen tragen ein hohes Maß an Verantwortung und Gemeinwohlverpflichtung. Lebenslange, professionelle Fortbildung leistet ihren Beitrag zur Einlösung dieser Versprechen. Aktuell steht die bundesweite Vereinheitlichung des Nachweises an.

Damit jedes Kammermitglied auch zu Pandemiezeiten seine Fortbildung organisieren kann, wurden Seminare und Lehrgänge innerhalb von zwei Wochen vollständig auf Webinare umgestellt.

Baukulturförderung

Baukultur steckt fast immer drin oder dahinter: Projekte, Verfahren, Prozesse und Veranstaltungen – es geht darum, Baukultur bewusst zu machen, zu fördern oder geeignete Rahmenbedingungen zu fordern. Konkret wird Baukultur da, wo regionale Initiativen aus oder mit den Kammergruppen aktiv werden. Gleich drei haben seit 2017 ihre Arbeit aufgenommen und werden durch die Kammer gefördert: Das Schaufenster Baukultur auf der Festung Ehrenbreitstein in Koblenz, baukultur trier e.V. und die Baukulturinitiative Deutsche Weinstraße. 

Der mobile Gestaltungsbeirat wurde in den letzten Jahren aufgebaut. Das Thema der Konzeptvergabe hat Fuß gefasst – insbesondere in der Südpfalz. Die Broschüre „Konzeptvergabe“ informiert über Vorteile und Verfahrensdetails. Gemeinsam mit dem Land und anderen Partnern wurde die Reihe lokaler Wettbewerbe „Mehr MITTE bitte!“ in eine zweite Runde geschickt, ebenso die am Zentrum Baukultur anknüpfende Publikationsreihe „Wir sind Heimat“. Zum Vergabetag 2021, der noch einmal vollständig digital stattfindet, wird der erste Ausloberpreis im Land vergeben. MEHR


Bauhaus 100

Die thematische Trennlinie zwischen Baukulturförderung und „Bauhaus 100“ ist nicht leicht zu ziehen. Verschmilzt doch die Frage, welches Bauhausvermächtnis ein Jahrhundert später noch relevant ist, mit der Debatte darüber, wie im Einzelnen Baukultur im aktuellen Planungs- und Baugeschehen zu buchstabieren sei. Mit der großen Wanderausstellung „Strategien der Moderne am Beispiel einer Stadt: Kaiserslautern“, präsentiert in Mainz, Trier und Kaiserslautern, hat sich die Kammer ebenso ins bundesweite  Veranstaltungsprogramm eingeklinkt wie mit den beiden Ortsgesprächen bei der Ludwigshafener Ebertsiedlung und dem offenbar einzigen Bauhaus-Weingut Kreutzenberger in der Pfalz. MEHR

Auch das gesamte Sonderbudget der Kammergruppen stand 2019 unter dem Motto „Bauhaus“: so beispielsweise in Koblenz mit einer Aufführung des Triadischen Balletts und in Mainz mit dem Besuch des Tiny House-Bauhauses als Kristallisationspunkt eines Diskussionsabends zum Thema Wohnen. Der Tag der Architektur mit Sonderprojekten aus der Bauhausära, das Hambacher Architekturgespräch mit dem „Grünen Bauhaus“, weitere Ausstellungen im Zentrum Baukultur bis hin zum 
Lebkuchenbauwettbewerb: bauhausinspiriert war 2019 ein unglaublich dichtes Jahr. Der pandemische Einbruch realer Veranstaltungen zum Frühjahr 2020 mündete in eine neue, eine digitale Offensive.

Digitalisierung

Vorstand und Vertreterversammlung hatten sich gleichermaßen schon 2017 das Thema Digitalisierung vorgenommen. Ein Ergebnis wird der Einstieg in ein Online-Wahlsystem für die X. Wahlperiode sein. Erstmals ist eine digitale Stimmabgabe schon im Oktober möglich. Für alle, die sich daran nicht beteiligten, gibt es im November die bekannte Briefwahl. Das Ergebnis wird für beide Abstimmungswege gemeinsam am 16. November festgestellt. Kandidaturen sind noch bis zum 24. September möglich. MEHR

In der Bauunterlagenprüfungsverordnung wurde Anfang 2021 der digitale Bauantrag gemäß Onlinezugangsgesetz als verbindlich festgeschrieben. Seit dem 1. August wird er umgesetzt. Über den Aufbau des Portals di.BAStAI im Verbund von 31 Länderkammern wird es künftig eine bundesweite elektronische Abfrage der Bauvorlageberechtigung geben.
 
BIM gewinnt mehr und mehr an Bedeutung, einen Einstieg für das eigene Büro erleichtert die BAK Broschüre BIM für Architekten: Implementierung im Büro. In dieser Reihe wird im August ein dritter Band zum Thema Digitalisierung und Bauen im Bestand erscheinen, der unter unserer Mitwirkung entstanden ist. Die Kammer engagiert sich seit 2016 im BIM-Cluster Rheinland-Pfalz, beteiligt sich an Workshops und bietet einen regelmäßigen Erfahrungsaustausch im BIMTreff an. Aktuell steht ein mehrteiliger 
BIM-Vertiefungslehrgang vor dem Start. MEHR

Immer stärker wird allerdings auch klar, dass die Risiken mit den neuen Chancen wachsen. Das Thema Cybersicherheit rückt daher im Herbst 2021 im Zentrum Baukultur wieder einmal auf die Agenda.
 
In einem gemeinsamen Workshop der in der Vertreterversammlung gebildeten Arbeitsgruppen und des Vorstandes wurde im Sommer 2017 ein Konzept für die Öffentlichkeitsarbeit der IX. Wahlperiode entwickelt.
 
Digitalisierung und neue Medien standen hier ganz oben auf der Wunschliste. Mit und durch die Coronapandemie wurden diese Wünsche wahr: Veranstaltungen wurden hybrid oder vollständig digital. Schöner Nebeneffekt: Aufzeichnungen der Livestreams sind zeitversetzt nutzbar.
 
Komplett auf Videos umgestellt werden musste der Tag der Architektur 2020. 2021 traten die Videos schon neben die teils wieder angebotenen Rundgänge. So soll es bleiben: Videos als Ergänzung für das physische Raumerlebnis am und im Projekt.

Neue Hörräume eröffnet die Podcastreihe der Architektenkammer. Zunächst wurde Anfang 2021 die „HOAI“ zum Thema, Mitte August startete die Reihe „Kreislaufwirtschaft“ mit der ersten Folge „Urban Mining“. Versammelt sind Druck-, Audio- und Videoformate auf einer eigenen Portalseite im Internet. MEHR

Crossmarketing kommt durch die Nutzung sozialer Medien wie Instagram und Facebook dazu. Das alte Architektenhandbuch hat 2020 seine digitale Form gefunden und ist allzeit top-aktuell nutzbar, insbesondere von mobilen Endgeräten aus mit Lesezeichen und individuellen Kommentierungen. MEHR 

Netzwerke bilden

Angeregt von der Vertreterversammlung hatte sich auch die Arbeitsgruppe „Netzwerke kleiner und mittlerer Büros“ gegründet, die eine internetgestützte Plattform auf den Weg gebracht hat. Diese setzt auf den Büroprofilen auf und bringt konkretes Suchen und Kompetenzangebote zusammen. So können Büros Kontakte zu bisher unbekannten Kolleginnen und Kollegen für eine situative oder dauerhafte Kooperation knüpfen – sicher auch bei den anstehenden Aufgaben zur Bewältigung der Flutkatastrophe an der Ahr und in der Eifel ein nützliches Instrument. MEHR (Log-in als Mitglied erforderlich)

Wohnen und Inklusion

Die Beteiligung der Kammer am landesweiten Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen startete bereits zum Ende der VIII. Wahlperiode. Doch wurde die Beschäftigung mit dem Thema noch einmal intensiviert. Die Sommerfachreisen 2017, 2019 und auch 2021 führen politisch Verantwortliche im Land und den Kommunen mit den Macherinnen und Machern aus allen Fachbereichen der Architektur und der Wohnungswirtschaft an beispielhaften Orten zum Austausch zusammen. Auch im Zentrum Baukultur ist Wohnen in allen Facetten Schwerpunkt: von der Publikumsveranstaltung über Ausstellungen bis hin zum Fachdialog.
 
Gemeinsam mit der Wohnungswirtschaft und den Sozialverbänden entstand das Positionspapier „Menschenrecht Wohnen“. Es wurde in einer Diskussionsveranstaltung mit den Spitzen der Landtagsfraktionen vorgestellt. MEHR 

Zweimal machte die Veranstaltungsreihe „Inklusiv Planen und Gestalten“, die der Bundesbeauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderungen mit der Bundesarchitektenkammer auflegt, in Rheinland-Pfalz Station: 2018 in Kaiserslautern und 2021 in Mainz als Onlineveranstaltung. Zwei Leitfäden des Landes zum inklusiven Planen wurden 2018 in Koblenz-Ehrenbreitstein gemeinsam vorgestellt. MEHR 

Tourismus

Die Verknüpfung von Baukultur und Tourismus, also auch das gute Bauen für Architektur und Gastgewerbe, hatte eben wieder Fahrt aufgenommen, als die Coronakrise Hotellerie und Gastgewerbe lahmlegte. Zunächst hatte die Enquetekommission „Tourismus“ des Landtages neue Ziele für eine Tourismusstrategie formuliert. Die Kammer war als Gast geladen. Im Mittelrheintal hat 2019 eine Konferenz mit dem Schwerpunkt Holz die Politik, Architektenschaft und Investoren zusammengebunden. Inzwischen hat die Geschäftsstelle BUGA 2029 ihre Arbeit aufgenommen. Mit ihr und mit der RPT – Rheinland-Pfalz Touristik läuft die Kooperation gerade wieder neu an.

Baukulturvermittlung

Eine der Arbeitsgruppen, die sich aus der Vertreterversammlung heraus gegründet haben, stellte Kinder und Jugendliche in den Vordergrund. In der Folge wurde das Mitmachbuch „Tolle Häuser“ zum zweiten Mal aufgelegt, zum Tag der Architektur fanden bis 2019 Kindertouren mit dem Ingelheimer „Yellow“ statt. 2021 hat der Fotowettbewerb „Mein Lieblingsplatz“ an diese Tradition angeknüpft. Im Herbst 2021 finden zwei Lehrerfortbildung mit dem Pädagogischen Landesinstitut statt. Außerdem ist ein „Architekturkoffer“ in Arbeit, der von interessierten Klassen für Projekttage ausgeliehen werden kann. MEHR

Faire Verträge, Honorare und gute Zusammenarbeit

Faire Zusammenarbeit unter unterschiedlichen Blickwinkeln war Thema einer weiteren Arbeitsgruppe der Vertreterversammlung. Es ging zunächst um faire Vertragsgestaltungen, die gute Zusammenarbeit angestellter und beamteter Kolleginnen und Kollegen mit freiberuflich Tätigen. Mit dem Urteil des EuGH trat die Honorarordnung mehr und mehr ins Zentrum. Gemeinsam haben der Landkreistag Rheinland-Pfalz und die Architektenkammer einen Appell für angemessene Honorare bei Vergaben an Architektinnen und Architekten“ vorgelegt. Bereits im Januar 2021 hat sich der LBB im Podcast mit Kammervertretern zu fairen Vergaben bekannt. Schon 2016 wurde der VgV-Leifaden in Kooperation mit den kommunalen Spitzenverbänden herausgegeben. 
Eine Neuauflage für 2021 steht an.

Was blieb offen?

Die Aufstockung der Landesgeschäftsstelle ist auf dem Weg. Aktuell ist der Bauantrag gestellt, mit der Realisierung wird 2022 gerechnet. Unerfüllt blieb die alte Forderung nach einer Bündelung der wichtigsten Bauthemen in einem Bauressort, vermutlich wird auch der nächste Vorstand dies wieder auf die Agenda setzen. Denn die Zersplitterung der Zuständigkeiten quer durchs Kabinett scheint mit zunehmend fachübergreifender Betrachtung wie aus der Zeit gefallen. Ebenfalls auf dem Weg ist die Mitgliedschaft für Absolventen. Im Architektengesetz und im Staatsvertrag zur Architektenversorgung sind hierzu Weichenstellungen nötig. Ziel ist es, diejenigen, die in den Beruf einsteigen, für das Engagement im Berufsstand zu gewinnen.
 

Leider ein Opfer der Coronazeit wurde im totalen Lockdown das 70. Kammerjubiläum – trotz live gestreamter Ersatzfeier. Angelpunkt des Jubiläumsjahres hätte ein Zukunftskongress werden sollen. Wir wollten nicht zurück, sondern nach vorne sehen. Nun wird es der Vertreterversammlung und dem Vorstand der X. Wahlperiode obliegen, die Türe aufzustoßen – auf die nächste Gelegenheit zum Jubiläum 2025 sollten sie dabei nicht warten. MEHR

 

  

Archivbeitrag vom 18.08.2021