02. Oktober 2014

Suffizienz - Weniger erreicht mehr

Suffizienz - Weniger erreicht mehr. Ist Suffizienz das neue Zauberwort des Energiesparens? Dieser Frage geht Hans-Jürgen Stein, Vorstandsmitglied der Architektenkammer, in der Oktoberausgabe des Deutschen Architektenblattes nach.

Immer häufiger hört man von der Suffizienz. Gerade die Schweiz, ein Vorreiter wenn es um innovative Baukonzepte geht, und so wichtige Institutionen wie das Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt und Energie nehmen sich des Themas an, so auch die Architektenkammer Rheinland-Pfalz. Am 16. Oktober lädt sie zum Suffizienz-Symposium „Mehr ... durch weniger? Oder alles wie gewohnt?!“ ein.

Ist Suffizienz das neue Zauberwort des Energiesparens? Man könnte es meinen. Aber leider gibt es im wirklichen Leben keinen Hexenmeister, der die richtige Formel kennt, damit wieder alles gut wird. Es reichen nicht alleine Worte, es müssen auch Taten folgen. Und diese Taten werden, falls man sich denn darauf einlässt, auch eine Änderung unserer Gewohnheiten verlangen. Denn Suffizienz (der Ausdruck ist vom lateinischen sufficere = ausreichen abgeleitet) fordert, dass wir uns mit dem begnügen, was wir wirklich brauchen. Und das ist weniger, als das, was wir heute haben.

Was ist der Auslöser dieser Suffizienz-Debatte, die nicht nur das Bauen betrifft? Zum einen haben wir gemerkt, dass Effizienz (die verbesserte Nutzung der Ressourcen) und Konsistenz (der Einsatz erneuerbarer Energien) nicht die erhofften Einsparungen bringen und für das Erreichen der Klimaschutzziele nicht ausreichen, was sicherlich auch daran liegt, dass es zwar sehr gute Ansätze sind, aber eben nur technische. Der Faktor Mensch wurde in der Vergangenheit vollkommen unterbewertet. Ein Blick in die Realität zeigt schnell, welche Auswirkungen die unzureichende Berücksichtigung der menschlichen Faktoren hat. Dazu ein paar Beispiele: Der Prebound-Effekt: Untersuchungen zeigen, dass Nutzer von schlecht gedämmten Häusern weniger Energie verbrauchen, als die einschlägigen Berechnungsmethoden ermitteln. Wie kommt so etwas? Ganz einfach: Der Mensch ist vernünftig und spart. Er heizt beispielsweise an einem kalten Wintertag nur den Wohnbereich und lässt die Schlafzimmertemperatur absinken.
Der Rebound-Effekt: Nachdem die Wohnung energetisch saniert ist, wird auf einmal mehr Energie gebraucht als berechnet. Was ist jetzt passiert? Der Hausbewohner weiß, dass sein Haus so gut wie „keine“ Energie mehr braucht. Warum soll man da noch sparen? Und überhaupt, man hat es sich verdient, es endlich mal richtig warm zu haben. Die Heizung wird aufgedreht.

Die energetische Sanierungsquote beträgt nur knapp ein Prozent und bleibt damit weit hinter den geplanten drei Prozent zurück. Auch das ist menschlich. Denn einhergehend mit den oben beschriebenen Prebound und Rebound-Effekten, ist die Wirtschaftlichkeit der Energiesparmaßnahmen fraglich bzw. deren Amortisationszeiten gehen oft weit über die Restlebensdauer der Investoren hinaus. In einem solchen Umfeld investieren nur institutionelle Bauherren, bzw. solche, die neben den ökonomischen auch andere Ziele verfolgen.
Der Wohn-Energiebedarf pro Kopf sinkt nicht: Die energieeffizientere Bauweise und der Einsatz von Konsistenzmaßnahmen hat schon nennenswerte Fortschritte beim Verbrauch von Primärenergie pro Quadratmeter Wohnfläche gebracht. Aber durch Wohlstandssteigerungen, demografischen Wandel und andere Lebensgewohnheiten, ist im gleichen Maß der Wohnflächenbedarf und damit der Heizflächenbedarf gestiegen.

Stellplätze verursachen Energieverbrauch: Untersuchungen zeigen, dass die Stellplatzdichte Auswirkungen auf das Mobilitätsverhalten hat. Je mehr Stellplätze verfügbar sind, desto höher ist der Privat- autoanteil und damit einhergehend auch die Fahrten mit dem Auto. Gleichzeitig geht der öffentliche, Ressourcen schonende Verkehr zurück. Es gilt die Formel: Viele Stellplätze wirken negativ auf das Klima und verbrauchen Energie.

Die oben aufgeführte Liste kann jeder durch selbst gemachte Erfahrungen ergänzen. Sie zeigt, wie stark der Faktor Mensch den Energieverbrauch beeinflusst. Es kann sogar festgestellt werden, dass verbesserte technische Voraussetzungen anstatt eines Minderverbrauchs einen Mehrverbrauch verursachen. Daher ist es umso wichtiger, jenseits der Technik nach Wegen zu suchen, die den Energieverbrauch mindern: Wohnflächenförderung pro Kopf: Wäre es nicht zielführender, einen Förderfaktor für Minderflächenbedarf einzuführen? Beispielsweise ein KfW-Förderprogramm, das besonders gut geplante kleine Wohnungen fördert und somit denjenigen belohnt, die mit wenig Heizfläche auskommen.

Stellplätze: Unsere Städte werden immer noch für das Auto gebaut! 1,5 vorgeschriebene Stellplätze pro Wohnung bedeuten, dass unnötig viel gefahren wird, dass autolose Rentner, Studenten usw. für die Autofahrer mitbezahlen, dass zu wenig Platz für Fahrradwege ist, dass ein ordentlich ausgebauter öffentlicher Nahverkehr sich weniger lohnt. Ein Umdenken an dieser Stelle würde Energie sparen und wäre obendrein sozialer.

Möglichkeiten, Energie beim Wohnen und, oft damit einhergehend, bei der Mobilität einzusparen, gibt es viele. Allen gemein sind die Veränderung von Verhaltensmustern und damit der Verzicht auf Gewohntes. Wir werden mit weniger auskommen müssen. Aber es stellt sich die Frage, ob nach den Jahrzehnten der Effizienzsteigerungen in allen Lebensbereichen ein Hinwenden zum Weniger nicht auch etwas Entlastendes hat. Vielleicht lebt es sich suffizient sogar besser. 

  

Archivbeitrag vom 2. Oktober 2014