21. Juli 2015

Demografie und Wohnen | Sommerfachreise 2015

Foto: Die Ministerin mit den beiden Verbandsdirektoren des vdw und dem Präsdium der Kammer auf einem Balkon in den Hohenzollernhöfen in Ludwigshafen
Die sanierten Wohnungen in den Hohenzollernhöfen erhielten durch im Blockinneren vorgestellte Balkone eine ganz neue Wohnqualität. Eine Aufwertung, für die die Denkmalpflege erst einmal gewonnen werden musste. Bau- und Finanzministerin Doris Ahnen dazu: "Hier würde ich sofort einziehen". Ein Votum, dass Dr. Rudolf Ridinger, Verbandsdirektor des vdw Südwest, Alexander Rychter, Verbandsdirektor des vdw Rheinland-Westfalen, Kammerpräsident Gerold Reker und Kammervizepräsident Ernst Eichler durchaus unterschreiben würden.
Foto: Kristina Schäfer, Mainz

Finanz- und Bauministerin Doris Ahnen besuchte Projekte und Modellvorhaben: Am 16. und 17. Juli 2015 hat die rheinland-pfälzische Finanz- und Bauministerin Doris Ahnen sich auf Einladung der Architektenkammer Rheinland-Pfalz und der Arbeitsgemeinschaft rheinland-pfälzischer Wohnungsunternehmen zwei Tage Zeit genommen, um im Rahmen einer Sommerfachreise erfolgreiche Projekte und Modellvorhaben zu besuchen und kennen zu lernen.

Die demografische Entwicklung stellt Kommunen, Land und auch den Bund vor neue Herausforderungen: Sowohl den steigenden Altersdurchschnitt der Gesellschaft als auch Schrumpfungsprozesse, Wanderungsbewegungen und die wachsenden Anziehungskraft der so genannten „Schwarmstädte“ gilt es, mit klugen Maßnahmen zu kompensieren. Bei der zweiten Sommerfachreise zum Thema „Demografie und Wohnen“ hat sich Finanz- und Bauministerin Doris Ahnen zu einer zweitägigen Projektbereisung durch verschiedene Regionen des Landes auf den Weg gemacht.

Im Rahmen der Tour, die von Bad Kreuznach über Otterbach und Kaiserslautern am ersten Tag nach Pirmasens, Ludwigshafen und Worms am zweiten Tag führte, besuchte die Ministerin sowohl technische als auch bauliche und natürlich soziale Konzepte. Ohnehin greifen die verschiedenen Aspekte bei vorbildlichen Projekten meist ineinander.

Quantitative und qualitative Wohnraumversorgung in Rheinland-Pfalz bis 2030

Hintergrund der Fahrt war ein vor wenigen Monaten vom empirica-Institut vorgelegtes Gutachten zur qualitativen und quantitativen Wohnraumversorgung bis 2030 in Rheinland-Pfalz. Es zeigte: In Rheinland-Pfalz ist eine weite Spreizung der Bedarfe und des Angebotes zwischen den universitären Schwarmstädten, ihrem direkten Umfeld, mittelgroßen Entlastungskommunen in ihrem Einzugsbereich und meist ländlichen Schrumpfungsregionen zu beobachten. Wachsen, Stagnation und Schrumpfung liegen zuweilen sehr eng beieinander. Viele Städte wachsen, aber nicht alle. Auf dem Land zeigen sich eher die gegenteiligen Herausforderungen des demografischen Wandels, doch auch hier gibt es große Unterschiede, die zuweilen auf kleinen Ursachen gründen. Bei der Reise ging es darum zu erfahren, wie preiswertes, altersgerechtes und energieeffizientes Wohnen sowohl in den Schwarmstädten wie in den Quellgebieten der Wanderungsbewegungen gesichert werden kann. Erörtert wurden Fragen der sozialen Wohnraumförderung, der Quartiersentwicklung und der Förderung von baukultureller Qualität. Zur Reise eingeladen waren die Abgeordneten des rheinland-pfälzischen Landtages in den jeweiligen Landkreisen, Landräte, Oberbürgermeister und Bürgermeister, Beigeordnete und Dezernenten sowie Vertreterinnen und Vertreter der Medien.

Bad Kreuznach: Inklusionsprojekt der GEWOBAU

Erste Station der Sommerfachreise war Bad Kreuznach. Hier setzt die Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft Bad Kreuznach ein Projekt um, das die Attraktivität der Kommune als Entlastungsstandort der Schwarmregion Mainz stärken soll: Die GEWOBAU errichtet in Zusammenarbeit mit der Rheinhessen Fachklinik Alzey ein Wohn-Integrations-Angebot für die wohnortnahe Psychatrie. Die Architekten Winfried Mannert aus Bad Kreuznach und Jens Zimmermann aus Meddersheim führten die Reisegruppe durch die Baustelle. Energetisch wird mit dem Neubau der EnEV-Standard um 40 Prozent unterschritten. Das Projekt ist Teil der Stadtentwicklung in Bad Kreuznach, bei der auch die Bestandsbauten eines 44 Hektar großen amerikanischen Housingareals einbezogen werden. In der empirica Studie wird der Kreis Bad Kreuznach als zwischen Wachsen und Schrumpfen ausgeglichen eingestuft. Sein Entwicklungspotential schöpft er auch aus der Nähe zur stark wachsenden Schwarmstadt Mainz, die er in der Wohnraumversorgung entlastet.

Otterbach: Mehrgenerationenwohnhaus

Weiter ging es nach Otterbach-Sambach zu einem Projekt für generationenübergreifendes Wohnen, das nur durch die Entschlossenheit der Bauherrenfamilie Kirschenbaum, durch sinnvolle Förderangebote und eine kluge bauliche Lösung des Architekturbüros ER + R architektur + Partner Wirklichkeit werden konnte. Durch das Haus führten die Bauherrenfamilie und ihr Architekt Michael Reitemeier.

Der ländlich geprägte Kreis Kaiserslautern verzeichnete zwischen 2008 und 2012 einen negativen Bevölkerungssaldo von 7,5 Prozent. Vor diesem Hintergrund bieten Projekte wie das Wohnhaus in Otterbach, das nicht nur generationenübergreifend bewohnt wird, sondern auch mit einem hohen Anteil von Eigenleistung errichtet wurde, interessante Perspektiven für Menschen, die ihre Zukunft entgegen dem allgemeinen Trend auf dem Lande sehen. Beim Besuch der Ministerin wurde bei allem Positiven aber auch klar: Baurechtlich stellen solche Vorhaben alle Beteiligten vor Herausforderungen, die im vorliegenden Fall nur mit großer Hartnäckigkeit und in vielen Gesprächen gelöst werden konnten. So erforderte beispielsweisedie Anordnung der Gebäudeteile in mehreren Einheiten, die zusammengehören, aber trotzdem eigenständig sind und je nach familiärer Entwicklung auch stärker abgetrennt werden können, eine Änderung des Bebauungsplans. Auch notwendige Abstandsflächen und Brandschutzvorschriften sorgten beim Architekten für manche Denksportaufgabe.

Kaiserslautern: Ambient Assisted Living

In Kaiserslautern endete der erste Tag der Fachreise: Im Bestand der Gemeinnützigen Baugesellschaft Kaiserslautern mbH lernte Doris Ahnen das seniorengerechte elektronische Hilfssystem PAUL kennen, dessen Funktionen für die BewohnerInnen der grundlegend modernisierten Wohnanlage an der Albert-Schweitzer-Straße entscheidend sind.

Die Bau AG Kaiserslautern begann 2007 ihr Projekt „Ambient Assisted Living - Wohnen mit Zukunft“ in der Albert-Schweitzer-Straße 41 / 41a in Kaiserslautern. Gefördert wurde es durch das Finanzministerium Rheinland-Pfalz im Rahmen des Forschungsprogramms Experimenteller Wohnungs- und Städtebau (ExWoSt). Die 1921 erbaute und seit 1996 unter Denkmalschutz stehende Wohnanlage wurde grundlegend modernisiert. Sie bietet 20 barrierefreie Wohneinheiten, darunter 2- und 3-Zimmer-Wohnungen, ein integriertes Einfamilienhaus über zwei Geschosse sowie einen Gemeinschaftstreff. PAUL ist ein technisches Unterstützungssystem, welches je nach Bedarf bei alltäglichen Verrichtungen assistieren kann. Die Erfahrung der letzten Jahre zeigte: Das System fördert die Kommunikation der Bewohner untereinander - vom schwarzen Brett über den kleinen Plausch bis zur Anwender-Selbsthilfe ist PAUL mal Werkzeug mal Anlass zur Kommunikation untereinander - und manchmal auch beides. Die an dem Vorhaben beteiligte TU Kaiserslautern und die CIBEK GmbH haben das System gemeinsam mit den Bewohnern weiterentwickelt. Einige Funktionen wurden ausgebaut, andere fielen durch.

Die Stadt Kaiserslautern zählt mit einem positiven Saldo von 0,1 Prozent zwischen 2008 und 2012 - so das empirica-Gutachten - noch zu den wachsenden Städten im Land. Da dieses Wachstum sich aber aus der unmittelbaren Umgebung speist und diese Quellgebiete nach und nach versiegen, wird sich der Bevölkerungszuwachs in der Zukunft wohl nicht verstetigen.

Qualitative und quantitative Wohnraumnachfrage in der Westpfalz

Nach dem Besuch in der Albert-Schweitzer-Straße diskutierte die Ministerin in der Zentrale des Wohnungsunternehmens mit den Experten die Entwicklung der qualitativen und quantitativen Wohnraumnachfrage in der Westpfalz. An der TU Kaiserslautern untersucht Prof. Dr. Holger Schmidt im Fachbereich Raumund Umweltplanung das Phänomen von Wohnungsleerständen in Rheinland-Pfalz. Die Diskussion leitete er mit einem kurzen Impulsvortrag ein. Im Rahmen der Gesprächsrunde erläuterte er die Fragestellung, die seiner laufenden Untersuchung zugrunde liegt, und riss erste Zwischenstände der Untersuchung an, die im Auftrag des Ministeriums der Finanzen Rheinland-Pfalz entsteht.

Die Debatte mit der Ministerin führten der Kaiserslauterer Oberbürgermeister Dr. Klaus Weichel, Landrat Dr. Winfried Hirschberger und Prof. Dr. Holger Schmidt von der TU Kaiserlautern unter Moderation von Roswitha Sinz (Arbeitsgemeinschaft rheinland-pfälzischer Wohnungsunternehmen).

Pirmasens: WG Wohnleben Berliner Ring 88 - „Gemeinsam statt einsam“

Der zweite Tag der Fachreise führte die Delegation zuerst nach Pirmasens. Dort haben die Bauhilfe Pirmasens GmbH, die Arbeiterwohlfahrt (AWO) und die Stadt Pirmasens eine Wohngemeinschaft als neue Wohnform für ältere Menschen mit Hilfebedarf entwickelt. Schon beim Start der Sanierung im Jahr 2011 hatten die Architekten auf die Bedürfnisse älterer Menschen geachtet. Im Februar 2014 gründeten dann sieben Seniorinnen und Senioren ihre selbstorganisierte WG mit dem Ziel, ein Leben in privater, aber sozialgestützter Atmosphäre zu führen. Sie entscheiden nun gemeinsam über den Alltag, die Beauftragung von Diensten und die Aufnahme neuer Bewohnerinnen und Bewohnern. So neue und ungewohnte Wege zu beschreiten, stellte für alle Beteiligten eine Herausforderung dar, das Ergebnis rechtfertigt jedoch - so das allgemeine Fazit beim Besuch - die Mühen des Beginns, stellt die WG doch eine Alternative zur Heimunterbringung dar.

Die Stadt Pirmasens und der Landkreis Südwestpfalz sind im besonderen Maß vom demografischen Wandel und von Abwanderung betroffen. Die ehemals prosperierenden Schuhmetropole mit einem dichten Bestand an qualtitätvollen Bestandsgebäuden aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert kämpft mit einem negativen Wanderungssaldo von 2008 bis 2012 von 13,9 Prozent. "Wachsen im Schrumpfen" ist daher die Devise der Bauhilfe. Sie entwickelt und sichert Quartiere mit Potenzial, darunter auch das Wohnhaus am Berliner Ring 88. Positiv schlägt in Pirmasens ein hohes bürgerschaftliches Engagement und ein ausgeprägtes Mäzenatentum zu Buche, das sich noch aus Zeiten der Schuhindustrie speist.

Ludwigshafen: Hohenzollernhöfe

In Ludwigshafen besuchte die Finanz- und Bauministerin das in der Modernisierung befindliche, denkmalgeschützte Gebäudeensemble der Hohenzollernhöfe. Hier ging es vor allem darum, wie eine Modernisierung modern, zu moderaten Kosten und unter Ansprache verschiedenster Zielgruppen gelingen kann. 2013 erhielten die Hohenzollernhöfe bereits den Staatspreis für Architektur und Städtebau des Landes. Im Inneren des denkmalgeschützten Karrees wird an der Stelle eines abgebrochenen Gebäudes in dessen Kubatur ein Neubau errichtet. Seiner Planung liegt ein Architektenwettbewerb zugrunde, den das Büro Stein Hemmes Wirtz aus Kasel, Frankfurt und Saarbrücken für sich entschied.

Wie so oft in Ludwigshafen, ist die BASF-Tochter BASF Wohnen + Bauen GmbH (ehemals LUWOGE) Eigentümerin der Werkssiedlung Hohenzollernhöfe. Für die Sanierung der großen Anlage nahm man sich Zeit und startete mit einem Versuchsgebäude. Unter Leitung von Prof. Dr. Helmut Lerch aus Heidelberg wurden zunächst unterschiedliche Dämmsysteme und Wohnungszuschnitte sowie die beste Positionierung eines Aufzuges geprüft. Ein Vorgehen, das sich nach Auskunft der Bauherrschaft nicht nur durch bessere Ergebnisse bewährt hat, sondern in der Umsetzungsphase auch beschleunigend und kostendämpfend wirkt. "So konnten wir die 36fache Wiederholung von etwaigen Fehlern vermeiden", fasste Architekt Ralf Werry, Prokurist der BASF Wohnen + Bauen GmbH, den Vorteil eines Versuchsbaus knapp zusammen.

Ludwigshafen zählt in der empirica-Untersuchung zu den Schwarmstädten des Landes. Mit einem Wachstum von 4,7 Prozent in den Jahren 2008 bis 2012 profitiert es auch vom Potenzial der Metropolregion Rhein-Neckar.

Worms: Konversionsprojekt Liebenauer Feld

Den Abschluss fand die Fachreise von Doris Ahnen schließlich in Worms, wo sie gemeinsam mit den sie begleitenden Vertretern der Architektenkammer und der Wohnungswirtschaft den Wohnpark Liebenauer Feld besuchte. Hier ist ein ehemaliges amerikanisches Wohngebiet von 13,5 Hektar Fläche von der Wohnungsbau GmbH Worms genutzt worden, um ein breites Wohnungsportfolio zu schaffen, die soziale Durchmischung zu fördern und Segregation zu vermeiden. Lebenszyklushäuser nach modernstem architektonischen Konzept vervollständigen den Mix.

Für die Ministerin und ihre Begleiter war es eine facettenreiche, interessante zweitägige Reise: „Ich habe sehr vielfältige Eindrücke gewonnen, was die Akteure auf die Beine stellen und was alles möglich ist“, so Doris Ahnen. „Das macht Mut, weil die demografische Entwicklung sicher eine Herausforderung ist. Die Kreativität, die spannenden Lösungsansätze und die vielen verschiedenen Menschen, die sich hier engagieren, haben mich sehr begeistert."

  

Archivbeitrag vom 21. Juni 2015