06. Juli 2017

Weißbuch Stadtgrün – eine neue Chance

Porträt Hermann-Josef Ehrenberg
Hermann-Josef Ehrenberg
Foto: Heike Rost, Mainz

Vorstandsmitglied Hermann-Josef Ehrenberg spricht in der Oktoberausgabe 2017 des Deutschen Architektenblattes über die Veröffentlichung des Handlungs- und Maßnahmenprogramm zur urbanen grünen Infrastruktur „Weißbuch Stadtgrün“.

Endlich ist es soweit: Das seit Jahren in Arbeit befindliche Handlungs- und Maßnahmenprogramm der Bundesregierung zur urbanen grünen Infrastruktur ist nunmehr in einem „Weißbuch Stadtgrün“ festgeschrieben. Mit dem Untertitel „Grün in der Stadt - Für eine lebenswerte Zukunft“ hat die Politik nicht nur den Handlungsschwerpunkt sondern auch eine sehr weitsichtige Gültigkeit festgeschrieben. Es geht immer um die Sicherung und Qualifizierung von Grün- und Freiflächen in der Stadt. Die Bundesregierung verpflichtet sich, in den kommenden Jahren durch geeignete Vorgaben, Forschungsvorhaben, gesetzliche Initiativen usw. für die unumstößliche Beachtung von Grünflächen in einer umweltverträglichen Stadtentwicklung zu sorgen.

Auf einem Kongress in Essen Anfang Mai wurde das Weißbuch vorgestellt. Bundesministerin Barbara Hendricks kündigte in ihrer Eröffnungsrede für zukünftige Stadt¬entwicklungsmaßnahmen eine bundesweite Förderinitiative von 750 Mio. Euro an; alleine für das städtische Grün seien 50 Mio. Euro reserviert. Wie sehr sie auf die zuverlässige Inwertsetzung von grüner Infrastruktur, Stadtplanung und Landschaftsarchitektur setzt, ließ die Ministerin – mit still-ironischem Verweis auf so manches überfällige Großprojekt des Bundes – am Beispiel der zwar zeitintensiven und milliardenschweren, gleichwohl erfolgreichen Emscher-Sanierung erkennen. Wenn der geneigte Zuhörer und Landschaftsarchitekt den politischen Botschaften glauben wollte, dann müsste die Natur schon immer mitgedacht worden sein. Die zehn Themenfelder des Weißbuchs werden in bundespolitische Handlungsansätze komprimiert. Es geht um Integration des Grüns in Baukultur und Stadtentwicklung. Es geht um Qualität und Funktionalität, um Klima und Sozialverträglichkeit. Es geht um ganz konkrete und praktische Petitionen zur Bauwerksbegrünung und Unterhaltungspflege, nicht zuletzt um die gesellschaftliche Akzeptanz, um Forschung und Öffentlichkeitsarbeit. Altgediente Kollegen identifizieren vieles davon zwar als alten Wein in neuen Schläuchen, aber wir Planer müssen die erst- und einmalige Chance nun nutzen und nach einer jahrelangen Defiziterfahrung in der Grünflächenplanung das präzise Programm als „epochalen“ Befreiungswurf anwenden und einfordern.

Man kann für Planungsstrategie und Umsetzungspraxis fünf Hotspots herausgreifen, die zwar dem kundigen Landschaftsarchitekten immer schon als zentrale Schutzgüter und Argumentationsfelder der städtischen Grünplanung galten, aber nunmehr mit neuem Vokabular und politischem Verve in Front gebracht werden: Integrative Planung, Multifunktionalität städtischer Grünräume, Klimaschutzfunktion, Sozialverträglichkeit und fachgerechte Nachhaltigkeit beim Planen und Bauen.

Es handelt sich um nichts Neues, aber es gilt plötzlich für uns alle. Damit meine ich durchaus und ganz bewusst eine berufspolitische Strategie, die nunmehr über die lediglich grüne Fachrichtung hinaus auch Gültigkeit für die gesamte Architektenschaft gewinnt. Die leidige Kollegen-Debatte über die Verantwortung für Kostengruppen der DIN 276, hier beispielhaft verdeutlicht am Bundespetitum für Bauwerksbegrünung und zugleich fachgerechter Planungskompetenz, macht die interdisziplinäre Gültigkeit und die berufspolitische Tragweite des Weißbuch Grün in der Stadt deutlich. Es liegt an uns Landschaftsarchitekten, den grünen Ball aktiv aufzugreifen und zu einem Spielball interdisziplinären Miteinanders zu machen. Es wird sich noch vieles in der Praxis bewähren müssen, es wird nicht nur mit gutem Willen und hehren Absichten funktionieren. Das betrifft auch eigentumsrechtliche Eingriffe und Einschränkungen, nicht zuletzt gesetzgeberische Konsequenzen, die ähnlich rigide Rechtsfolgen obligatorisch machen, wie sie für Fledermaus und Schlammpeitzger schon lange existentiellen Artenschutz zu versprechen scheinen.

Man wird abwarten müssen, was am Ende des Jahres von der bunten Broschüre und den hochgesteckten Zielen des Weißbuchs in das tatsächliche Koalitionsprogramm der neu gewählten Bundesregierung herüber gerettet werden wird. Meines Erachtens liegt die aktive Handlungsverantwortung bei uns Planern und den Kollegen in den Behörden. Und es bedarf der (finanz-)politischen Wahrnehmung und der ministeriellen Verantwortung im Land. Mit blühenden Ackerrandstreifen, grünen Aktionen, alten Obstsorten und Hunsrücker Wildnisethik ist es nicht getan. Insbesondere dann nicht, wenn der fachkundige Planer von den dramatischen Wechselbeziehungen und den Interdependenzen in den ökologischen und sozialen Brennpunkten unseres Landes, in den Städten und Verdichtungsräumen weiß. Ich bin gespannt, ob und wer die politische Verantwortung aus dem Weißbuch für eine ganzheitliche Grünplanung in unseren Städten in Rheinland-Pfalz übernehmen wird.

             

Archivbeitrag vom 6. Juli 2017