19. März 2010

„Eine sehr schöne, kollegiale Zusammenarbeit“

Interview: Arbeiten auf einer Großbaustelle in Russland - Aviva Klingel führt ein Büro in Pirmasens. 2008 hat sie sieben Monate in Russland gearbeitet. Arbeitserfahrungen rheinland-pfälzischer Architekten und Absolventen im Ausland aber auch in benachbarten Berufsfeldern stehen im Mittelpunkt einer kleinen Interviewreihe. Die Fragen an Aviva Klingel stellte Kerstin Mindermann.

Guten Morgen Frau Klingel. Wie würde ich Sie auf Russisch begrüßen?
Dóbry djen...Ich hoffe, das hieß jetzt auch „Guten Tag“ und nicht „Guten Abend“. Es ist schon wieder alles so lange her.

Sprechen Sie russisch?
Ein paar Wörter habe ich mir beigebracht: Guten Morgen, Guten Tag, Guten Abend, die Zahlen, wie bestellt man ein Taxi, die Speisekarte,... Dinge, die man im Alltag braucht. Sie haben als deutsche Architektin in Russland gearbeitet.

Wie haben Sie sich verständigt?
Die Baustellensprache für meinen Bereich war vorwiegend Deutsch, dazu kam Englisch. Das hat gut funktioniert. Die Baufirmen hatten zwar russische oder türkische Mitarbeiter beziehungsweise Subunternehmer, doch die Bauleiter waren Deutsche oder sprachen Englisch. Und wenn nicht, dann gab es immer einen netten Kollegen, der übersetzt hat.

Was haben Sie in Russland gebaut?
Ich war im Einsatz am Bau des VW-Werkes in Kaluga. Ich habe dort in der Projektsteuerung mitgearbeitet, mein Aufgabengebiet umfasste einen Teil der Schnittstellenkoordination.

Wie haben Sie einen solchen Auftrag bekommen?
Ich war im Auftrag der IG-Möckel dort. Eine Tochtergesellschaft der damaligen Dekra Real Estate -Saarbrücken, heute Dekra Industrial, die unter anderem Ingenieure im Bereich Projektmanagement, Projektsteuerung und Fachbauleitung auch in freier Tätigkeit beschäftigt. Also mit freien Ingenieuren projektbezogen zusammenarbeitet. Die Tätigkeit der Dekra müssen Sie mir näher erklären! Es ist durchaus üblich, dass Bauherren wie VW und andere große Unternehmen, die Großbaustellen im In- und Ausland einrichten, dies nicht ausschließlich mit ihren eigenen Mitarbeitern abdecken, sondern sich für Bauleitung, Projektsteuerung und so weiter Ingenieure baustellenbezogen „dazukaufen“. Um diese Aufträge bewirbt sich dann die Dekra.

Bieten dies noch andere Unternehmen an?
Ja, zum Beispiel Thost oder Assmann. Diese arbeiten aber, soweit mir bekannt, mehr mit einem Ingenieurpool von fest angestellten Mitarbeitern, welche auf verschiedenen Baustellen eingesetzt werden.

Sind das immer Baustellen im Ausland?
Nein, sowohl im In- als auch im Ausland. Haben Sie vorher schon einmal für die Dekra gearbeitet? Nein, dies war das erste Projekt.

Wie lange waren Sie in Russland?
Sieben Monate. Von September 2008 bis März 2009, über die Winterzeit.

Eine bleibende Erinnerung?
Eine bleibende Erinnerung, auf jeden Fall.

Was hat Sie am meisten beeindruckt?
Zum einen sicherlich die Großbaustelle, zum anderen das Land selbst - das wenige, was man mitbekommen hat, denn auf so einer Baustelle hat man doch einen relativ geringen Freizeitanteil. Das einfache Leben, das die Russen führen - wenn man von der Oberschicht einmal absieht - durch diese Einfachheit findet man ein Stück weit zu sich selbst, das nimmt man im Laufe der Monate doch an.

Wollen Sie nach dieser ersten Erfahrung wieder ins Ausland?
Auf jeden Fall!

Sie sagen das wie aus der Pistole geschossen und sehr begeistert. Warum?
Es ist zum einen sicherlich sehr anstrengend, es ist zum anderen aber eine sehr konzentrierte Arbeit. Die ganze Ablenkung, die man hier im eigenen Büro hat, ob das die Verwaltung ist oder Anrufe außerhalb des Tätigkeitsfeldes und so weiter, entfällt. Dort ist das anders organisiert. Und dann gibt es auf so einer abgelegenen Baustelle eine ganz andere Teamarbeit, weil doch jeder auf sich gestellt ist und die Hilfe der anderen benötigt. Das schweißt mehr zusammen, als wenn in Deutschland jeder in seinem Büro arbeitet. Ich habe das als eine sehr schöne und kollegiale Zusammenarbeit empfunden, im ganzen Team. - Und ich erkunde gerne fremde Länder. Das, was man dort mitbekommt, ist wirklich das Land: Man hat seine eigene Wohnung, man geht in die Geschäfte einkaufen, man lebt dort wirklich. Das ist eine andere Erfahrung, als wenn man den Urlaub dort verbringt. Man ist in dem Moment in dem Land auch zu Hause.

Ist so eine Tätigkeit auch wirtschaftlich interessant?
Ja, das würde ich auf jeden Fall sagen. Sicherlich, man hat hohe Nebenkosten, man hat hohe Mieten. In so einem Ort wird sehr schnell erkannt, dass für solche Projekte viele Wohnungen angemietet werden. Die Preise steigen dann ganz schnell immens.

Werden die Wohnungen von VW oder Dekra gestellt oder muss sich jeder Mitarbeiter selber darum kümmern?
Nein, das mussten wir selbst organisieren. Sie bekommen eine Pauschale, was Sie mit der machen, ist Ihre eigene Sache. Man muss zusehen, woher man eine Wohnung bekommt, ebenso wie den Taxifahrer, der einen morgens zur Baustelle fährt.

Wird zur Zeit, also nach der Wirtschaftskrise, in Russland noch immer so viel gebaut? Können Sie das von Deutschland aus einschätzen?
Ich kann es nicht zu 100 Prozent einschätzen, aber ich habe schon das Gefühl, dass dort schon noch viel weiter gebaut wird. Was aus wirtschaftlicher Sicht ja auch sinnvoll ist. Dann ist man nach der Krise zum Start bereit. Damit beziehe ich mich allerdings auf ausländische Investoren. Russland selbst hat schon große Not erlitten.

Haben Sie schon Folgeaufträge von der Dekra erhalten?
Nicht in dem Bereich eines Auslandeinsatzes. Also keinen direkten Folgeauftrag, aber es wird sicher zum Folgeauftrag kommen - so hoffe ich zumindest. Es ist gut gelaufen und so ist langfristig sicherlich wieder etwas Passendes dabei. Es gab auch schon eine Anfrage, aber da ich zurzeit in Deutschland einen Auftrag bearbeite, der noch einen längeren Zeitraum in Anspruch nimmt, ging das von mir aus nicht. Man darf ja dabei auch das Büro in Deutschland nicht vergessen.

Wie organisieren Sie in Ihrem Büro die Abwesenheit? Haben Sie Angestellte?
Nein, ich arbeite mit Freischaffenden zusammen. Das heißt, wenn größere Aufträge da sind, schließt man sich zusammen. Ein Büro mit Angestellten auf Sparflamme weiterlaufen zu lassen, das sehe ich auf Dauer als problematisch an. Außer vielleicht man hat einen sehr, sehr langen, vertrauten Mitarbeiter, dem man dann alles überlassen kann.

Arbeiten Sie in Deutschland auch auf so großen Baustellen, liegen Ihre Schwerpunkte hier auch in der Bauleitung und Projektsteuerung?
Von klein bis groß, allerdings bin ich vorwiegend in der Sanierung tätig, das hat auch was mit meinem zweiten Standbein, dem Sachverständigenwesen, zu tun. Der klassische Einfamilienwohnhaus-Neubau läuft gegen null aus.

Mussten Sie besondere Erfahrungen in der Projektsteuerung für Ihre Tätigkeit in Russland nachweisen?
Sicher muss man nachweisen, dass man in der Bauüberwachung tätig war und das ist in der Sanierung auch mein größtes Tätigkeitsfeld. Ganz ohne Erfahrung funktioniert das nicht. Es wäre sicherlich auch kritisch, wenn man nur Einfamilien-Wohnhäuser betreut hätte. Man benötigt die Baustellenerfahrung. Mit den Handwerkern ist es bei uns im Kleinen schon manchmal nicht ganz einfach. Zu erwähnen ist dabei vielleicht noch, dass man ja nicht immer alleine auf der Baustelle im Einsatz ist. Bei Ersteinsätzen als „Junior“ wird einem unter Umständen auch ein „Senior“ zur Seite gestellt. Was Sie erzählen klingt interessant, ein für mich zumindest bislang unbekannter Weg ins Ausland.

Haben Sie einen Rat für andere Architekten, die sich ebenfalls für eine solche Tätigkeit interessieren?
Natürlich sich zuerst bei der Dekra melden.Dann, zum einen ein Stück Mut, den Schritt überhaupt einmal zu gehen und für eine Zeit im Ausland zu leben, vielleicht auch nicht in der schönsten Ecke des Landes. Zum anderen Spaß an seinem Beruf und Freude an Baustellen. Vielleicht hat das auch was mit Freude am Leben zu tun. Ich denke, wenn man das hat, dann engagiert man sich auch vor Ort. Ich habe auch den einen oder anderen Kollegen schon mal angesprochen. Es gab eine Anfrage für eine Baustelle in Sibirien. Die Antwort war: Um Himmels willen, ich geh doch nicht nach Sibirien.

Aus Ihrem Umfeld konnten Sie also noch niemanden überzeugen, diesen Weg ins Ausland auszuprobieren?
Ich weiß nicht, ob man da jemanden überzeugen soll. Entweder man möchte das oder man möchte das nicht, beziehungsweise man traut sich oder traut sich nicht. Wenn man eine solche Tätigkeit nur macht, um Geld zu verdienen, hat man ein gewisses Unwohlsein. Wenn man sich unwohl fühlt und dann so abgelegen festsitzt - das muss man sich nicht antun. Es gibt ja auch Ingenieure, die sind zwei Jahre und länger auswärts. Das, denke ich, ist dann ein Zeitrahmen, da sollte es für einen persönlich schon passen. Das Bauchgefühl muss stimmen, dann leistet man auch gute Arbeit und möglicherweise erweitert das Ganze auch noch den Horizont.

Kontakt

DEKRA Industrial GmbH
Gerd Deutsch
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