Frau Boy, was hat sie direkt nach ihrem Diplom nach Spanien gelockt?
Die größte Motivation war, eine neue Sichtweise auf Architektur zu bekommen. Im Studium gab es nur eine Philosophie und die wurde von allen Professoren vertreten. Das habe ich als sehr einseitig empfunden. In Spanien gab es zu der Zeit viele innovative, junge Büros, die sehr interessante Architektur gemacht haben. Dazu kam, dass ich bereits recht gut Spanisch sprach. Ich war bereits während des Studiums ein Semester in Barcelona. Auch damals wollte ich dort arbeiten, das hat aber leider nicht geklappt.
Wie hat es dann nach dem Diplom geklappt?
Ich habe mich für ein Leonardo-Stipendium* beworben und dies auch bekommen. Dann bin ich mit Rucksack und Mappe nach Madrid geflogen und habe mich direkt vor Ort in knapp zehn Büros vorgestellt. Sich von Deutschland aus schriftlich zu bewerben, ist wenig erfolgversprechend. Die Bewerbungen werden vielleicht kurz angesehen, verschwinden dann in einer Akte und werden nie wieder hervorgeholt. Für die Spanier ist der persönliche Eindruck wichtig. Sie interessiert natürlich auch, was man bisher gemacht hat, und sie sehen sich auch gerne Arbeitsproben an, entscheidend ist das aber nicht. Auch Arbeitszeugnisse sind in Spanien nicht üblich, werden aber geschrieben, wenn man sie anfordert.
Wie wichtig sind Spanischkenntnisse in den Büros, kann man sich auch auf Englisch verständigen?
In den Büros wird eigentlich nicht Englisch gesprochen. Wir hatten einen Praktikanten, der konnte so gut wie kein Spanisch. Er war zwar integriert, aber das Arbeiten ist natürlich nicht effektiv. Spanisch zu lernen ist aber nicht sehr schwer. Die Spanier sind zudem sehr hilfsbereit und haben viel Geduld.
Nachdem es dann geklappt hatte: Haben Sie den erhofften neuen Blick auf die Architektur bekommen?
Ja. Ich habe damals in einem zu der Zeit noch jungen Büro angefangen, in dem sehr spannende, ungewöhnliche und kreative Projekte bearbeitet wurden. Wir haben beispielsweise das Büro vom Regisseur Pedro Almodovar gebaut. Und um gleich ein Vorurteil auszuräumen: in spanischen Büros wird sehr viel gearbeitet.
Lange oder lange und intensiv?
Lange und intensiv. Für die Kaffeepause am Vormittag geht man zwar traditionell in ein Café um die Ecke, das dauert sicher etwas länger als den Kaffee am Arbeitsplatz zu trinken. Aber besonders in meinem ersten Büro haben wir auch nachts und oft am Wochenende gearbeitet.
Unterscheidet sich die Arbeitsweise in Spanien von der in Deutschland?
In Spanien ist auf jeden Fall der Umgang miteinander persönlicher, die Atmosphäre in den Büros herzlicher. Man duzt sich von Anfang an, auch mit den Chefs - ein Hierarchiedenken wie in Deutschland gibt es dort nicht. Beim Entwerfen und Planen hat man viel mehr Freiheiten, es wird mehr experimentiert. Natürlich sind auch die klimatischen Bedingungen andere und es gibt nicht so viele gesetzliche Vorgaben - obwohl sich das in den letzten Jahren durch EU-Bestimmungen etwas geändert hat. Generell ist in Spanien die Gruppe ganz wichtig, das ist auch bei der Arbeit so. Das Individuum steht hinten an. Man muss sehr anpassungsfähig sein. Den Deutschen wird immer vorgehalten, dass sie das nicht sind. Die Spanier sind zudem sehr diplomatisch. Sie sagen nie direkt was sie denken. Das macht die Entscheidungsfindung oft langwierig und schwierig und es kommt zu Missverständnissen. Zum Teil werden Entscheidungen getroffen, die - wie sich hinterher herausstellt - so keiner wollte. Gegenüber den Bauherren ist das Verhältnis ebenfalls immer sofort sehr freundschaftlich. Wodurch es aber auch zu Problemen bei der Bezahlung kommen kann. Ich habe in Granada in einem Büro gearbeitet, da hat mein Chef Verträge noch per Handschlag geschlossen. Das war eine Sache der Ehre. Manche Bauherren wollten sich dann leider später nicht mehr an ihr Wort erinnern. Mich betraf das leider direkt, weil ich in dem Büro kein festes Gehalt bekam, sondern prozentual an den bearbeiteten Projekten beteiligt war. In Madrid oder Barcelona gibt es solche Verträge aber nicht mehr. Aber auch ich hatte in keinem Büro einen schriftlichen Arbeitsvertrag.