Neben den zahlreichen Gesprächen mit politischen Vertretern, der Teilnahme an Messen, Preisverleihungen und anderen berufsrelevanten Veranstaltungen hat der Vorstand die Zeit genutzt, um eine Bestandsaufnahme durchzuführen und die aktuellen Handlungsfelder und Ziele der Legislaturperiode festzulegen.
Baukultur einzufordern, wie es auch das Architektengesetz festschreibt, wird das zentrale, vielschichtige Ziel der nächsten Jahre sein. Doch was ist Baukultur überhaupt? Ein vielgehörter und vielgeforderter Begriff, ohne Zweifel, wobei anzunehmen ist, dass es sehr unterschiedliche Definitionen und Vorstellungen dazu gibt - nicht nur unter Laien, auch unter den Kammermitgliedern. Um hier eine gemeinsame Grundlage zu schaffen, hat jedes Vorstandsmitglied seine Definition des Begriffes in eine vielschichtige, gründliche Diskussion eingebracht. Am Ende stand der Kernsatz, den es in den nächsten vier Jahren in konkrete Aktionen und erfahrbare Entwicklung umzusetzen gilt: „Baukultur ist eine Haltung für Ernsthaftigkeit in der Entwicklung eines positiven Ergebnisses im Kontext der Aufgabe.“
Baukultur im ganzen Land
Baukultur ist ein Anliegen für ganz Rheinland-Pfalz. Damit sich der Berufsstand in aktuelle Diskussionen im ganzen Land einschalten und dazu Stellung beziehen kann, sind alle Mitglieder gefordert. Um Baukultur landesweit stärker ins Bewusstsein der Gesellschaft zu rücken, sind die Kammergruppen eingeladen, sich stärker einzubringen. Veranstaltungen, Veranstaltungsbeteiligungen, Ausstellungen und sonstige öffentlichkeitswirksame Projekte sollen Baukultur, Architektur und Architektenschaft ins Gespräch bringen.
Um solche Aktivitäten zu unterstützen, gibt es in diesem Jahr erstmals ein Sonderbudget in Höhe von 10.000 Euro. Konzeptvorschläge konnten die Kammergruppen bis Anfang Januar einreichen. Über die Verteilung entscheidet der Vorstand im Februar nach den folgenden Kriterien: Thema/Idee/Kreativität, Öffentliches Interesse/Aufmerksamkeitsfaktor und Realisierbarkeit. Über das Ergebnis berichten wir in der März-Ausgabe des DAB.
Nur vor Ort sind relevante Themen, Probleme und aktuelle Veränderungen bekannt, nur die Mitglieder vor Ort sind über diese informiert. Ein zweiter Baustein ist die Verstärkung der Medienarbeit, die auch aktuelle regionale Themen aufgreiften wird. Dabei wird es darauf ankommen, Themen, mit denen sich der Berufsstand zu Wort meldet, klug auszuwählen. Es geht um Aktualität und Relevanz und den regionalen Bezug, aber auch um die Beispielhaftigkeit der Problemstellung. Ende des vergangenen Jahres haben die beiden Diskussionen um den geplanten Abriss des BASF-Hochhauses in Ludwigshafen und die Sanierung des Mainzer Rathauses gezeigt, dass und wie es gehen kann. Wir sind für weitere Hinweise aus den Kammergruppen dankbar.
Freiberufler und Angestellte
Die Architektenkammer Rheinland-Pfalz war bei ihrer Gründung vor rund 60 Jahren eine Kammer von Freiberuflern. Vielfach wird sie immer noch so wahrgenommen, obwohl inzwischen etwa die Hälfte aller Mitglieder ihren Beruf in einem Angestelltenverhältnis ausgeübt. Um dieser Veränderung Rechnung zu tragen, sollen angestellte und beamtete Mitglieder besser in die Architektenkammer eingebunden und die Attraktivität der Kammer für sie erhöht werden. Die Geschlossenheit des Berufsstandes ist wichtig. Nur gemeinsam kann der Berufsstand Verbesserungen bewirken.
Wie sich die Kammer im Bewusstsein dessen weiterentwickeln soll, ist Thema einer Arbeitsgruppe.
Demografische Entwicklung
Für Rheinland-Pfalz wird eine Bevölkerungsabnahme von 2010 bis 2030 um durchschnittlich 5,8 Prozent prognostiziert, bis zum Jahr 2060 sogar um 20 Prozent in der mittleren Berechnungsvariante. Dabei wird die Abnahme regional sehr unterschiedlich ausfallen. Zudem wird es absehbar eine deutliche Veränderung der Altersstruktur geben: Der Anteil der unter 20jährigen wird von 19 Prozent in 2010 mittelfristig auf 17, langfristig auf 15 Prozent sinken. Gleichzeitig steigt der Anteil der 65jährigen von 21 Prozent auf mittelfristig 29, langfristig 34 Prozent. Bei den über 85jährigen wird sogar mit einer Steigerung um 50 Prozent gerechnet. Trotz der sinkenden Bevölkerungszahl wird eine weitere Zunahme der Haushalte - insbesondere bei den 1-2-Personenhaushalten - prognostiziert. All diese Verschiebungen werden zu erheblichen städtebaulichen wie auch individuellen baulichen Anpassungen führen müssen und im Verbund mit der Energiewende einen beträchtliche Umbau-, Anpassungs-, Modernisierungs- und Abrissbedarf auslösen. Hier sind Architekten, Innenarchitekten, Stadtplaner und auch Landschaftsarchitekten als wichtigste Fachleute, Ansprechpartner und Problemlöser gefragt, entsprechend sollte sich der Berufsstand in der Öffentlichkeit präsentieren. Mit Veranstaltungen wie der „Initialberatung Modernisierung“, „Barrierefreies Bauen“ oder „Wohnen 50+“ informiert die Kammer bereits seit Jahren über das Thema. Diese Veranstaltungen sollen weiterentwickelt und durch konkrete Aktivitäten unter Einbeziehung der Kammergruppen ergänzt werden. Dabei erscheint es wichtig, nicht nur über das Thema und die sich ergebenden Probleme zu diskutieren, sondern durch gute, beispielgebende Projekte als Lösungsansätze aufzuzeigen. Die Beteiligung der Kammer am Aktionsbündnis „Impulse für den Wohnungsbau“ versteht sich in diesem Zusammenhang.
Klimaschutz
Der Energiebedarf von Gebäuden macht etwa 30 Prozent des gesamten Energieverbrauchs in Deutschland aus, entsprechend ist der Berufsstand bei der Bewältigung des Klimawandels gefordert. Insbesondere der Altbausanierung kommt hierbei eine Schlüsselrolle zu. Gleichzeitig ist diese Thematik mit vielfältigen Konflikten behaftet. Die Architektenschaft ist in ihrer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung gefordert, fachlich fundiert und im Sinne der Baukultur einen für Bürger nachvollziehbaren Standpunkt zu formulieren. Die derzeitige Rechtslage, nach der energetische Sanierungen privilegiert sind und kein Baugenehmigungsverfahren durchlaufen müssen, gilt es zu hinterfragen. Durch dieses Vorgehen werden der Klimaschutz und wirtschaftliche Interessen ohne Not einseitig über die Baukultur gestellt, anstatt ausgewogene Gesamtkonzepte unter Einbeziehung aller Anforderungen zu fordern und zu fördern. Ein weiterer Aspekt der Energiewende ist die Nutzung regenerativer Energien. Die Windenergie leistet hierzu einen wichtigen Beitrag, ist aber ebenfalls nicht unumstritten. Wenig beachtet wurde in der Diskussion bisher, dass die Landschaft schon immer die Aufgabe hatte, die Energie-, Rohstoff- und Nahrungsgrundlage für die Bevölkerung bereit zu stellen. Änderungen bei der Nachfrage führten zu Veränderungen des gewohnten Erscheinungsbildes und der Nutzung der Landschaft. Windenergieanlagen und Solarparks stehen in dieser Reihe. Sie sind zudem für die Landbevölkerung und die Dörfer eine Möglichkeit ihre Haushalte auszugleichen. Wirken sie also gegen die Landflucht und lindern die Folgen der Demografie? Oder errodieren Sie im Gegenteil die Basis künfiger Prosperität beispielsweise im Tourismus?
Entwicklungskatalysatoren
Großereignisse, das hat die BUGA in Koblenz 2011 gezeigt, können die Entwicklung und Realisierung zukunftsweisender Lösungen vorantreiben. Quer zu tradierten Entscheidungswegen und unter dem Eindruck fixer Termine sind hier Dinge möglich, die ohne die Katalysatorwirkung des Ereignisses nicht, nicht so schnell oder nicht in dieser Form möglich gewesen wären. Ein solcher Kulminationspunkt, nennen wir ihn hilfsweise Internationale Bauausstellung (IBA) in Rheinland-Pfalz, böte die erforderlichen Rahmenbedingungen für neue Lösungsansätze, von der wirtschaftlichen Basis, über die rechtlichen Voraussetzungen, bis zur medialen Kommunikation. Er würde wichtige Impulse setzen und die notwendige öffentliche Aufmerksamkeit für die Thematik schaffen. In diesem Sinne wird sich der Vorstand der Architektenkammer für einen Kulminationspunkt nach Art einer IBA im Land einsetzen.
Öffentlicher Raum
Unter öffentlichem Raum werden gemeinhin Flächen innerhalb der Stadt oder der Gemeinde verstanden, die frei zugänglich sind, von der Gemeinde bewirtschaftet und unterhalten werden. Das sind unsere Plätze, Parks, Grünanlagen mit ihren Sitzbänken und Spielplätzen, aber auch die Gehwege, Fahrbahnen, Bäume, Springbrunnen und Wasserflächen. Nach der Wiederentdeckung des öffentlichen Raums als zentrales Element der europäischen Idee eines Identität stiftenden Gemeinwesens, werden seine Bauteile verstärkt als Steuerungsinstrumente von Stadtplanern genutzt. Die zunehmende Verarmung der Gemeinden und die damit verbundene Unfähigkeit den öffentlichen Raum zu unterhalten und zu bewirtschaften, führt seit einigen Jahren zur Übernahme durch private Investoren. Die damit verbundene privatrechtliche Nutzung und Anwendung des Hausrechts führen zur Einschränkung der allgemeinen Grundrechte. Der Bürger wird enteignet. Stadtentwicklung trifft Grundgesetz - könnte man pathetisch formulieren. Die Architektenkammer Rheinland-Pfalz will den Austausch über den Umgang mit dem öffentlichen Raum befördern.
Reformation und Architektur
Luthers Thesenanschlag am 31. Oktober 1517 ist das entscheidende Datum der Reformation. Er war der Beginn einer Bewegung, die weltweit Spuren hinterließ und die bis heute anhält. Seit 2008 bis zum 500. Jahrestag dieses Ereignisses, 2017, läuft ein Countdown: die Lutherdekade. In zehn Themenjahren wird aufgezeigt, was Reformation bedeutet - damals wie heute. Die Architektenkammer Rheinland-Pfalz wird sich an dieser Reihe beteiligen, weil hier über das Religiöse hinaus eine geistesgeschichtliche Entwicklung ihren Anfang genommen hat, aus der die klassische Moderne und das zeitgenössische Bauen sich letztendlich zu einem guten Stück herleiten.
Vier weitere Jahre
Wir haben uns als Vorstand vor allem grundlegende Ziele gesetzt, deren Umsetzung nicht einfach werden wird. Sie wird das Engagement vieler Architekten, Innen- und Landschaftsarchitekten und Stadtplaner erfordern, wahrscheinlich auch über die jetzige Legislaturperiode hinaus. Wir sind aber zuversichtlich mit den bisherigen Entscheidungen eine gute Basis für eine zukünftige erfolgreiche Arbeit der Kammer und für eine positive Wahrnehmung des Berufsstandes in der Öffentlichkeit gelegt zu haben.
Gerold Reker, Präsident
Archivbeitrag vom 18. Januar 2013