09. September 2021

Das Geld steckt im Boden

Logo der zweiten Podcast-Folge der Reihe "Kreislaufwirtschaft"
Foto: Kristina Schäfer, Mainz

Flächenrecycling | Boden ist nicht vermehrbar, fruchtbarer Boden weltweit ein rares Gut. Deshalb setzt die Bundesregierung auf das Ziel von 30 – x Hektar Neuversiegelung pro Tag. Rheinland-Pfalz hat bis 2050 das Ziel der Netto-Null ausgegeben. Doch wie kann das gelingen, wenn gleichzeitig Wohnraum und Gewerbeflächen gebraucht werden?

Der Flächenverbrauch in Deutschland ist enorm. Damit eng verflochten ist die Flächenversiegelung, durch die fruchtbare Böden irreversibel zerstört werden. Deshalb hat die Bundesregierung schon vor geraumer Zeit das Ziel von 30 ha minus X Bodenneuversiegelung pro Tag bis zum Jahr 2030 ausgerufen. Rheinland-Pfalz möchte bis 2050 hier Netto-Null erreichen. Von beiden Zielmarken sind wir derzeit weit entfernt. Wie kommen wir also vom aktuellen Flächenverbrauch herunter? Und was steht einer Erschließung brachgefallener Flächen entgegen? Hierzu diskutierte Pressesprecherin Annette Müller in der neuen Folge ihrer Podcastreihe Kreislaufwirtschaft mit Professor Dr. Dirk Löhr von der Hochschule Trier am Standort Birkenfeld, mit Frank Böhme, freiberuflicher Stadtplaner und Vizepräsident der Architektenkammer Rheinland-Pfalz und mit dem zugeschalteten Geschäftsführer des Brownfieldverbandes (DEBV) und von Brownfield 24, einer digitalen Plattform für Altlastenareale, Raphael Thießen. 

„Die Inanspruchnahme von Flächen im Außenbereich kommt oft deutlich billiger, als innerörtliches Recycling“, stellte Professor Löhr eingangs klar. Als zweiten Grund nannte der Experte für Ökologische Ökonomik den Faktor Zeit. Hier spielen insbesondere die Eigentümerverhältnisse oder bürokratische Vorschriften eine Rolle. „Daneben verhagelt die Altlastenproblematik viele Projekte, sowohl bei ziviler als auch bei militärischer Konversion“, erklärte Löhr. 
Zeit und Geld sind jedoch nicht die alleinigen Probleme. So vermisst Vorstandsmitglied Frank Böhme allzu oft eine starke Regional- oder Gebietsplanung. Viel zu selten nutzten Kommunen ihre Planungshoheit zur Kooperation. Rein lokale Planungen seien aber oftmals ungeeignet, um regional abgestimmte Lösungen hervorzubringen, findet Böhme. Gerade zur Stärkung des Gemeinwohls, und hierzu gehört aus Sicht von Böhme auch die Entwicklung des Bodens und des öffentlichen Freiraumes, habe das Bundesmisterium jüngst neue Förder- und Sonderprogramme aufgelegt.

Das Geld steckt im Boden.
Professor Dr. Dirk Löhr

Zwar wurde bereits mit der Verabschiedung der Leipzigcharta im Jahr 2007 die Innen- vor der Außenentwicklung postuliert, erinnert Böhme, dies werde jedoch noch immer viel zu wenig umgesetzt. Weniger Kirchturmpolitik würde hier vielerorts guttun, so der Stadtplaner, der auf die traditionelle „Drei-Felder-Wirtschaft“ - Feldfrüchte, Hackfrüchte, Bauland - verwies. Die Abschöpfung der Gewinne gehe dabei zu Lasten der Kommunen und des Gemeinwohls. Dabei sei die Voraussetzung für ein nachhaltiges Flächenrecycling der Zugriff auf den Boden durch die Kommunen. Sie hätten jedoch in Anbetracht der angespannten Haushaltslage in den vergangen Jahren „sozusagen ihr Tafelsilber verkauft, was sich jetzt bitter räche“, sagte Böhme.

Die Kommunen haben ihr Tafelsilber verkauft, was sich jetzt bitter rächt.
Frank Böhme

Professor Löhr sieht das ähnlich. Auch ihm wäre eine stärkere regionale Ebene willkommen, auf der Kooperationen geschlossen werden und gemeinsame Optimierung stattfinden kann. In Rheinland-Pfalz könne diese Rolle beispielsweise den sogenannten Planungsgemeinschaften zufallen. Die Planungsgemeinschaften könnten dann auch bei der Umsetzung eines weiteren Instrumentes helfen, nämlich der Übertragung eines CO2-Handels auf die Fläche. Für praktikabel hält der Ökonom etwa das folgende Modell: Bund und Land definieren verbindliche Flächenziele, die auf die Planungsgemeinschaften heruntergebrochen werden. Diese dürften dann nur noch einen bestimmten Betrag an Fläche pro Jahr zusätzlich ausweisen. Die Vergabe könnte über einen Preismechanismus erfolgen, die Kommunen müssten für einen Verbrauch von Fläche in einen gemeinschaftlichen Topf einbezahlen. Dies käme, so Löhr, einem Zertifikatemechanismus gleich. Unterm Strich würde das Bauen so teuerer. Als Folge würden nur noch dort neue Flächen ausgewiesen werden, wo es wirklich Sinn macht. Ungelöst sei in einem solchen Modell allerdings die Bereitstellung von bezahlbarem Wohnraum. Hier müsse man sich noch ein gutes Ausgleichssystem überlegen. 

Der Sprecher des Deutschen Brownfield Verbandes (DEBV) Raphael Thießen hat beim Thema Zertifizierung eine andere Vision vor Augen. Viel lieber würde er ein Belohnungssystem etablieren, mit dem es sich Investoren anrechnen lassen können, wenn sie etwas Gutes tun, beispielsweise einen Boden renaturieren und diesen wieder in den Kreislauf bringen. Schließlich gehe der Investor eines Brachfeldes ein sehr viel höheres Risiko ein, dies müsse honoriert werden. Ein weiteres Hemmnis sieht der DEBV darin, dass es kein bundesweit einheitliches Kataster gibt. Im Gegenteil: Zurzeit arbeiteten viele Stellen mit einer Insellösung, was nicht nur die Lokalisierung sondern auch die Steuerung von Flächen erschwere.

Woran es auf jeden Fall nicht fehlt, hört man Raphael Thießen zu, sind Flächen. Ein Mythos, gegen den der DEBV mit der Plattform Brownfield 24 seit nunmehr vier Jahren kämpft. Zwar räumte Thießen ein, dass es hier und da in den Ballungsgebieten zu Engpässen kommen kann, dabei fehle aber zumeist nur das Wissen darüber, welche Flächen überhaupt existieren. So hätten jüngst etwa die Städte Düsseldorf und Stuttgart eine Erhebung von Baulücken und Brachflächenarealen durchführen lassen. Das Ergebnis überrascht Thießen nicht: Auf alleine 269 Hektar verfügbare Flächen in kommunalem Eigentum, kam man in Düsseldorf, in Stuttgart waren es rund 330 Hektar. Bei der Erhebung wurden private Flächen nicht mitgezählt. Wenn schon keine Belohnung auf die Investoren wartet, dann will der DEBV zumindest mit der Auslobung des Brownfield Awards künftig Menschen danken, die „mit Innovation, Schweiß und harter Arbeit, unmögliche Ideen möglich gemacht haben.“ 

 

Wir müssen aus unserer Komfortzone raus. Dann kann man mit Brownfields richtig gute Dinge bewegen.
Raphael Thießen

Denn Hürden gibt es auch aus Sicht von Thießen viele zu nehmen: der Boden muss aufbereitet, es muss gemeinsam mit der Kommune ein Konzept erarbeitet werden, mit dem Verkäufer will verhandelt und Fördergelder müssen aquiriert werden, um nur einige zu nennen. So etwas geht immer nur gemeinsam, sagt Thiessen. Wichtig sei auf jeden Fall, dass sich die Politik zu den Themen  Digitalisierung und Kataster comitte. Thießen: „Wir müssen was machen und wir müssen aus unserer Komfortzone raus. Dann kann man mit Brownfields richtig gute Dinge bewegen, weil es einfach auch die Leute gibt, die das können und die was ändern wollen.“

Doch reicht das? Wo könnte Rheinland-Pfalz im Jahr 2030 stehen? Kann das Netto-Null-Ziel erreicht werden? Vorstandsmitglied Böhme hat Zweifel. Eine Aufgabe werde zumindest die Nachverdichtung in den großflächigen Einfamilienhaus-Wohngebieten der 60er und 70er Jahre sein. Und hierzu brauche man das bereits genannte Kataster. Auch müssen wir wissen, wer da wohnt und wie alt die Bewohner sind, fordert Böhme. Daneben bräuchten die Kommunen bessere Zugriffsrechte, möglicherweise ein Vorkaufsrecht. Böhme: „Nicht aus dem sozialistischen Grundgedanken heraus, sondern aus der Notwendigkeit, vor der die Kommunen heute stehen, bezahlbaren Wohnraum anzubieten. Wenn es hier gelingt, Überzeugungsarbeit zu leisten und die Menschen mitzunehmen, dann kann man in diesen Gebieten den Flächenbedarf tatsächlich nachhaltig herunterfahren“, sagt Böhme. Wichtig sei dabei, Qualität in solche Prozesse hereinzubringen. Dazu gehöre es beispielsweise einen Gestaltungsbeirat mit einzubeziehen oder einen Ideen- oder Umsetzungswettbewerb auszuloben. Die Städte Freiburg und Tübingen nennt Böhme hier als Vorreiter. 

Dass wir im Zuge des Klimawandels Druck von allen Seiten auf die Fläche bekommen werden, hieran erinnerte Professor Löhr in seinem Schlusswort. So werde man für eine resiliente Stadtentwicklung zunehmend Flächen in grüne oder blaue Infrastruktur konvertieren müssen. Hierfür müsse die Kommune in der Lage sein, a) die Abwägungsentscheidung beispielsweise zwischen bezahlbarem Wohnraum und entsprechender Infrastruktur zu treffen und b) diese Prozesse durch kommunales Bodeneigentum zu steuern. Auch die Mobilitätswende sei in diesem Zusammenhang ein wichtiges Thema. Löhr: „40 bis 50 Prozent der Städte sind im Prinzip tot, weil nur Blechkisten darauf stehen.“ Zudem werde sich auch Corona auf den Flächenverbrauch auswirken, wie sei noch unklar. Vielleicht würden günstige Häuser auf dem Land dank Homeoffice attraktiver, Büros in den Zentren fürs Wohnen frei? 

Die Bodenfrage ist zentral, so das Fazit der Moderation: „Die Kreislaufwirtschaft beginnt also beim Boden und der Boden ist der Schlüssel zu sehr vielen Entwicklungen ins hoffentlich Positive in den kommenden Jahren.“

Das Studium, die Promotion und die Habilitation absolvierte er an der Ruhr-Universität Bochum, den MBA machte er an der FernUni Hagen bzw. der Universität of Cardiff/Wales. Vor der Professur u. a. Stationen als Prokurist in einem internationalen Hotelkonzern und als Hauptabteilungsleiter in der Deutschen Bahn AG. Nebenberuflich ist er als selbstständiger Steuerberater (früher u.a. als freier Mitarbeiter bei Warth und Klein, Düsseldorf sowie Schlatter, Heidelberg) sowie als Kommunalberater tätig. Zudem ist er Mitglied im Oberen Gutachterausschuss für Grundstückswerte Rheinland-Pfalz und dem regionalen Gutachterausschuss Rheinhessen-Nahe, im wissenschaftlichen Beirat der Freiherr-vom-Stein-Akademie für Europäische Kommunalwissenschaften, im Arbeitskreis Raumentwicklung, Bau und Wohnen der Friedrich-Ebert-Stiftung sowie im Ausschuss Bodenpolitik der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung (DASL). Löhr war ebenfalls Mitglied der „Baulandkommission“ (BMI) und des „Fachdialogs Erbbaurecht“ (BMI). Er wurde als Sachverständiger u. a. zu Anhörungen im Deutschen Bundestag (Finanzausschuss, Parlamentarischer Nachhaltigkeitsbeirat), sowie auf Länderebene (Landesregierung Baden-Württemberg, Haushaltsausschuss des Niedersächsischen Landtags) geladen. Löhr war zudem Mitgründer des Aufrufs „Grundsteuer: Zeitgemäß!“, die sich für eine Bodenwertsteuer einsetzt.

Vorher hat er bereits im Asset Management für die Hagedorn Revital GmbH gearbeitet. Der studierte Geograph und Immobilienfachwirt verfügt über langjährige Erfahrung im Bereich Real Estate. So war er u.a. für die METRO AG, METRO PROPERTIES und BNP Paribas Real Estate tätig.

Ebenfalls seit 2021 ist Herr Thießen Geschäftsführer des Deutschen Brownfield Verbandes, der auf Initiative von Bronwfield24 gegründet wurde.

Brownfield24 ist eine digitale Plattform für Altlastenareale, Brachflächen und Revitalisierungsprojekte. Gegründet wurde das Unternehmen 2016 von Rick Mädel, zunächst als reine Grundstücksbörse. Mittlerweile besteht das Netzwerk aus fast 150 Unternehmen, Kommunen und Verbänden. Die Plattform bringt Grundstückeigentümer mit passenden Dienstleistern für die Revitalisierung zusammen. Daneben bieten die Experten auch Beratungsleistungen an.

Daneben ist auch er in zahlreichen Fachgremien engagiert.

Frank Böhme steht für die langjährige planerische Erfahrung – gerade in kleinen und mittleren Kommunen in Rheinland-Pfalz.