18. Dezember 2013

Wider den Methodenstreit

In der Januar-Ausgabe 2013 des Deutschen Architektenblattes spricht sich Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Stein für eine erweiterte, ganzheitliche Betrachtungsweise bei der Energiedebatte aus.

Unter dem Titel „Anything goes“ bzw. auf Deutsch „Wider dem Methodenzwang“ erschien 1974 das Hauptwerk des Philosophen Paul Feyerabend. Seine wichtigste Idee ist, dass es nicht nur eine einzige Methode gibt, um neue Erkenntnisse zu finden. Die derzeitige Diskussion zum energetischen Bauen vermittelt eben diesen Eindruck: Diskutiert wird ausschließlich über Energieeffizienzsteigerungen. Diese einseitige Betrachtung erscheint mir nicht zielführend. Wir sollten zwar nicht soweit gehen, wie der englische Titel von Freytag „Anything goes“, aber sich nicht alleine einer Methode zu unterwerfen, erscheint mir geeignet.

Zu Beginn der Energiewende war die Fokussierung auf energieeffizienzsteigernde Maßnahmen richtig. Mit einfachen Gesetzen, Vorgaben von U-Werten oder Dämmstoffdicken und leicht durchschaubaren Förderinstrumenten wurde ein für den Laien und Fachmann gut nutzbares System geschaffen. Ein System, welches leicht messbar, leicht regelbar und damit hervorragend für die Umsetzung geeignet ist, und unübersehbar funktioniert. Innerhalb von zwei Dekaden wurde auf diesem Weg selbst das 1,5 Liter-Haus ein relativ leicht zu erreichender Neubaustandard. Man stelle sich einmal vor, die Automobilindustrie hätte ähnlich erfolgreich gearbeitet. Dann wäre das 1,5 Liter Auto keine Utopie mehr.

Dieser Vergleich ist natürlich nicht ganz fair. Der Spritverbrauch wird pro Auto angegeben und nicht auf dessen Hubraum oder PS-Zahl umgerechnet. Fast alle Effizienzsteigerungen sind in einem Schneller und Größer verpufft. Würde man beim Hausbau ähnlich messen und den Energieverbrauch pro Person betrachten, wäre von der Effizienzsteigerung ebenfalls nicht mehr viel übrig. Denn der Minderverbrauch, dessen Bezugsgröße die Bauteilfläche oder das -volumen ist, wird durch den Mehrverbrauch an Wohnfläche aufgefressen. Dieser Reboundeffekt zeigt uns deutlich die Grenzen, die das einseitige Betrachten von Effizienzsteigerungen bewirkt. Wir brauchen daher weitere Methoden, die das Bisherige sinnvoll ergänzen.

Konsistenz
Eine Ergänzung hat sich schon, auch wegen ihrer guten Förderung, weitestgehend etabliert: der Einsatz von Konsistenzmaßnahmen, also das Ersetzen fossiler durch regenerative Energieträger. Es ist zu erwarten, dass der Anteil von PVAnlagen, thermischen Solaranlagen, Wärmepumpen usw. in Zukunft noch gesteigert werden kann. Trotz der dabei manchmal übertriebenen Komplexität der Haustechnik, sind Konsistenzmaßnahmen eine anerkannte und recht erfolgreiche Strategie. Vielleicht auch deshalb, weil sie, ebenso wie Energieeffizienzmaßnahmen, nicht den persönlichen Lebenswandel hinterfragen und damit den Lebensstandard in Frage stellen.

Suffizienz
Den Lebensstandard hinterfragt die dritte Stufe des Energiesparens, die Suffizienz. Sie fragt nach dem wirklich Notwendigen und nach dem richtigen Maß. Suffizienz will, dass man nur so viel Energie nutzt, wie man wirklich braucht. Das ist naturgemäß schwierig, denn man muss dadurch zwangsläufig liebgewonnene Lebensgewohnheiten hinterfragen. Auch ist Suffizienz nicht so leicht regelbar wie Dämmstoffdicken und U-Werte, und es besteht die Gefahr, dass Tugendpolitiker Raumhöchsttemperaturen und maximale Wohnflächen mit dem Verweis auf die Ökologie vorschreiben wollen. Das wäre jedoch zu kurz gedacht. Denn wir brauchen eine nachhaltige Bewusstseinsänderung, die mehr ist, als das Einhalten von Vorschriften. Es gilt, eine offene gesellschaftliche Diskussion zu eröffnen, die dem Einzelnen Mitsprache und den Freiraum gestattet, nach eigenem Gusto Energie einzusparen. Dazu gehört der Blick auf alle Lebensbereiche, die Energie mittelbar oder unmittelbar verbrauchen.

2000 Watt-Gesellschaft
Bezieht man alle Lebensbereiche - neben dem Wohnen, auch die Mobilität, die Ernährung, den Konsum und die Infrastruktur - in die Betrachtung mit ein, so verbraucht heute jeder Erdenbürger im Durchschnitt 2.000 Watt pro Stunde. Der Verbrauch in den Industrieländern liegt mit rund 6.000 Watt deutlich darüber. Als Zwischenziel soll dieser in erster Linie durch Konsistenz und Effizienzmaßnahmen bis 2050 auf 3.500 Watt reduziert werden. Bis zum Jahr 2100 ist dann die weitere Reduzierung auf 2.000 Watt vorgesehen. Dazu bedarf es ergänzender Suffizienzmaßnahmen.

Bei diesem Ansatz bleibt es jedem freigestellt, in welchem Sektor er Energie einspart: ob bei der Mobilität, beim Wohnen oder sonst wo. Es bleibt ihm auch überlassen, ob er dies durch Umstellung von Lebensgewohnheiten oder durch Effizienzsteigerungen erreicht. Lediglich die Gesamtenergiemenge pro Stunde ist verbindlich auf 2.000 Watt begrenzt. Dies ermöglicht eine nachhaltige Gesellschaft, ohne konkrete Lebensweisen vorzuschreiben.

Wir alle - Architekten, Innenarchitekten, Stadtplaner und Landschaftsarchitekten - können einen wichtigen Anteil an diesem notwendigen Umbau haben. Dabei sollte uns immer bewusst sein, dass die Beschränkung auf eine Methode nicht zum Ziel führen wird. Nur im Zusammenspiel von Effizienz, Konsistenz und Suffizienz kann uns ein nachhaltiger Umbau des Energiesystems gelingen. Und das mit dem Vorteil, dass der einzelne Mensch, als selbstbestimmter und freier Bürger das Maß der Dinge bleibt.

  

Archivbeitrag vom 18. Dezember 2012