14. Dezember 2017

Mehr Digitalisierung – mehr Baukultur?

Gerold Reker
Kammerpräsident Gerold Reker
Foto: Heike Rost, Mainz

Präsident Gerold Reker äußert sich in der Januarausgabe des Deutschen Architektenblattes zu Chancen und Herausforderungen im Zusammenhang mit der Digitalisierung, insbesondere durch „Building Information Modeling“ (BIM).

Die Digitalisierung schreitet voran - so schnell, dass wir uns eine Welt ohne die neuesten Errungenschaften kaum noch vorstellen können: Hatten wir 2003 eigentlich schon Freunde? Facebook verbindet uns doch erst seit 2004 mit der digitalen Meinungsblase. Wie wurden Revolutionen nur 2005 in Gang gebracht? Und wie wurden die USA 2005 regiert? Twitter ging erst 2006 an den Start! Wie haben wir bloß 2006 unsere Bahnanschlüsse erreicht? Das iPhone revolutionierte erst 2007 unseren Weg ins Internet. Und wie konnten wir noch 2007 unsere Städtereisen organisieren? Mit Airbnb kannibalisieren wir den knappen innerstädtischen Wohnraum der touristischen Hochburgen doch erst seit 2008?

Die Digitalisierung schafft Kommunikationsverhalten und monopolartige Plattformen, die wir uns vor wenigen Jahren nicht vorstellen konnten. Sie drückt von allen Seiten in unser Leben - und wir gehen mit. Wer es verhindern möchte, müsste unser Wirtschaftssystem in Frage stellen. Eine auf Wettbewerb gründende Wirtschaft lässt sich nicht aufhalten. Für Architekten nichts Neues? Doch! Denn sie erfasst auch den Bereich des Planens und Bauens und revolutioniert die Prozesse. So wie es Google, Amazon, Booking.com und Uber auf anderen Gebieten schon taten - mit allen Chancen und Risiken für die Baukultur.

Land in Sicht

Baukultur und Digitalisierung entwickeln sich dabei zu Klammerthemen zwischen dem gestern und morgen der Kammerarbeit. Das Land Rheinland-Pfalz stellt sich der Digitalisierung und macht sie zum Thema. Das sollten wir auch tun. Denn Baukultur und Digitalisierung könnten die Lebenswirklichkeiten in Städten und auf dem Lande grundlegend ändern. Das Verhältnis von Zentrum und Peripherie wird sich neu kalibrieren. Für den ländlichen Raum verheißt das Chancen. Jedenfalls für die, die nutzen, was die Digitalisierung bietet. Sie könnte als Sprungbrett für den Erhalt lebendiger Dörfer und Ortskerne genutzt werden. Denn ohne Erwerbsmöglichkeiten auf dem Lande gibt es keine stabile Wohnbevölkerung - und ohne Investitionen in den Baubestand gibt es keine Sicherung von Ortsbildern und regionaler Baukultur. Wo aber ein Arbeitsleben anders strukturiert werden kann, ist die Stadt nicht mehr das Maß aller Dinge.

Digitalisierung verändert die Arbeitswelt. Sie erfordert Anpassungen der Produktionsstätten und der Verwaltung ebenso wie der Geschäftsmodelle und der Wertschöpfungsketten, der Ausbildung und der rechtlichen Rahmenbedingungen. Digitalisierung verlangt buchstäblich nach anderen Arbeitsräumen. Neue Serviceleistungen, neue Anbieter, Einkauf, Freizeit, Telearbeit, Transport, Kommunikation: Damit müssen wir uns beschäftigen - und sie in ein lebenswertes Umfeld einbinden. Originäre Planungsaufgaben warten auf unsere Kreativität.

Planeralltag 4.0

Auch der Planungsalltag wird sich wandeln. Ein Umbruch kündigt sich beim Bauen bereits an: "Building Information Modeling" kurz BIM wird vieles von dem auf den Kopf stellen, was wir bisher kannten. Es geht dabei um das Planen in einem Datenmodell, das gemeinsam von Architekten, Ingenieuren, Fachplanern, Baugewerbe, Bauindustrie aufgebaut werden soll. Dieses Modell soll ein Bauwerk virtuell 1 : 1 in der Planung abbilden, bevor es in die Realisierung geht.

BIM-Cluster, BIM-Symposien, BIM-Kongresse - alle beschäftigen sich damit. BIM wird kommen - möglicherweise schneller als unser Verständnis davon, was das im Einzelnen heißt. Wir werden vieles neu definieren müssen: Schnittstellen und Datensicherheit, Fragen der Haftung, der Honorierung, der produktneutralen Ausschreibung und der Sicherung geistigen Eigentums. Wir werden auch damit leben müssen, dass dies in einem begleitenden Prozess geschieht und nicht erst mit deutscher Gründlichkeit nach dem letzten Erkenntnisgewinn umgesetzt werden wird.

Alle am Bau Beteiligten: Architekten, Ingenieure, Handwerk, Baugewerbe, Bauherren, Behörden sind gefordert. Dabei sollten sie nicht das Augenmaß verlieren. Euphorie ist das eine, Pessimismus das andere. Denn wo analoge und digitale Welt aufeinandertreffen, gibt es oft genug Konflikte.
Für kleine und mittlere Büros, also für 80 - 90 Prozent aller Architekturbüros in Rheinland-Pfalz, ist das eine große Herausforderung. Doch was ist die Antwort? Wir müssen die aktuelle Zeit nutzen, den Wandel sinnvoll zu gestalten und die Randbedingungen klug definieren. Dazu brauchen wir alle - Architektenschaft und Kammer - Realitätssinn und Phantasie. Um die neuen Möglichkeiten zu erkunden, um Risiken rechtzeitig zu sehen, Chancen zu ergreifen und nötige Kompetenzen schnell zu erwerben und zu entwickeln.

Am 1. Februar findet der erste BIM-Kongress in Mainz statt. Seien Sie dabei, nutzen Sie diese Plattform für Fortbildung, Diskussion, Vernetzung und Risikobewertung.

Herzlichst, ihr Gerold Reker, Präsident