02. Februar 2021

"Gehen Sie wählen!"

Blick in die gesamte Rund der Kandidatinnen und Kandidaten
Blick in die gesamte Rund der Kandidatinnen und Kandidaten
Foto: Kristina Schäfer, Mainz

Beim Livestream zu den Wahlprüfsteinen der Kammer am 26. Januar waren Alexander Schweitzer - SPD, Christian Baldauf - CDU, Anne Spiegel - Bündnis 90 / Die Grünen und Daniela Schmitt – FDP, dabei. Gerold Reker und Edda Kurz, stellten sie vor, Ralph Szepanski, ZDF, moderierte die Runde. Freie Wähler und die Linke nahmen schriftlich Stellung.

 

Frisch getestet und auf Abstand startete die Debatte von Kandidatinnen und Kandidaten zur Landtagswahl – coronabedingt vor digitalem Publikum, in kleinem Rahmen und mit einem Exkurs zur Systemrelevanz des Friseurhandwerks - am 26. Januar 2021 im Zentrum Baukultur.

Ralph Szepanski, der die Runde straff durch 60 Minuten Livestreamzeit moderierte, nahm sich dabei die Wahlprüfsteine der Kammer und die schriftlich vorgelegten Stellungnahmen der Parteien der Reihe nach vor, doch er startete hinten: „Zuständigkeiten Bündeln“ heißt die fünfte Kammerforderung und zielt auf die weite Spreizung der Bauthemen einmal quer durchs Kabinett. Was einerseits die Bedeutung des Planens und Bauens für viele Lebensbereiche spiegelt, macht andererseits schon kleine und kleinste Vorhaben kompliziert, wie Kammerpräsident Reker darlegte: Förderszenarien passen nicht aufeinander, Zuständigkeiten addieren sich, Prioritäten sind unterschiedlich gesteckt. Alle im Raum versammelten Parteien standen dann auch der Forderung nach wenigstes einem Landtagsausschuss für Planen und Bauen „offen“ gegenüber. Szepanski hakte ab…

Wettbewerbe sind uns wichtig
Anne Spiegel, Bündnis 90/Die Grünen

Kompetenzen der Architektenschaft nutzen“ – so Wahlprüfstein vier – dem wollte sich ebenfalls niemand grundsätzlich verschließen. Vizepräsidentin Edda Kurz legte die argumentative Grundlage hierfür, in dem sie den Leistungswettbewerb als vergaberechtlich geboten in Erinnerung rief und den Preis als dominierendes Entscheidungskriterium ablehnte. Dabei nutzte sie die Chance, eine Lanze für den Architektenwettbewerb, als dem einzigen auf die Zukunft und die Bauaufgabe gerichteten Leistungsvergleich, zu brechen. Während Anne Spiegel für die Grünen der HOAI und der RPW das Wort redete und sich entschieden gegen Preisdumping aussprach, legte Christian Baldauf für die CDU den Fokus auf stärkere die Einbindung freischaffender Architektur- und Ingenieurbüros. Für den Abruf übrig gebliebener Bundesmittel sei es regelmäßig nötig, fertige Vorhaben in der Schublade zu haben, daran mangele es eklatant. Dem widersprach Daniela Schmitt, FDP, für die Ampelkoalition vehement und führte mehr als 200 Einstellungen in den vergangenen Jahren ins Feld. Weiterhin unterstich sie den Leistungswettbewerb als eines ihrer Kernthemen. Für die SPD hielt Alexander Schweitzer sich zugute, dass im Rahmen der Coronabewältigung Vergabegrenzen gesenkt und andere Regelungen rasch angepasst worden seien, so dass der Baubetrieb weitgehend unbeeinflusst fortgeführt werden konnte.

Beim dritten Wahlprüfstein „Digitalisierung vorantreiben“ stieg der Kontroversenpegel: Sowohl der flächendeckende Netzausbau wie auch die digitale, BIM-basierte Bauakte reizten zur Gegenrede. Mit einer Datenanbindung von 50 Mbit bei 90 Prozent aller Haushalte im Land und einem Investment der Landesregierung von 140 Millionen Euro sah sich die Ampelkoalition gut aufgestellt. Alexander Schweitzer verwies zudem auf die 44 regionalen Aufbaupools des Landes, die die Kommunen bei den Verhandlungen mit den Netzbetreibern unterstützen sowie die Zuständigkeit des Bundes für den Mobilfunk. Oppositionsführer Christian Baldauf maß diese Aussagen am alten Versprechen, bis zum Jahresende 2018 schon die vollständige Abdeckung mit 50 Mbit erreicht zu haben.

Die digitale Lücke in den Ämtern will Baldauf mit externen Dienstleistern, am liebsten Start-Ups, schließen, denn Gerold Reker forderte die schnelle Einführung der BIM-basierten Bauakte: „Der alte Bauantrag nur als PDF genügt nicht!“ Daniela Schmitt pflichtete dem bei. Sie will die Chancen von BIM nutzen und mit Leben füllen. Genau wie Anne Spiegel, die im parallelen Zugriff auf das Datenmodell erhebliche Beschleunigungspotenziale für die Antragsbearbeitung sah.

Anreize sind wichtiger als Verbote
Christian Baldauf, CDU

Klimagerechtes Planen und Bauen stärken“ fasst der zweite Wahlprüfstein Handlungsbedarfe von den kontinuierlichen Erhaltungsinvestitionen statt dem Dreisprung von Sanierungsstau, Abriss und Neubau, über die Qualifizierung innerstädtischer Freiräume bis hin zum Vorrang für Recycling zusammen. Alles Forderungen, denen sich Anne Spiegel mühelos anschließen konnte. Ihr Koalitionspartner Schweitzer hob auf das Ziel der klimaneutralen Landesverwaltung ab und nannte einige konkrete Beispiele für heimische Unternehmen, die die Wiederverwertung von Baustoffrecycling anbieten. Noch werde davon viel zu wenig eingesetzt.

Dass zahlreiche Landesgebäude energetisch auf dem Stand der 1980er Jahre seien, ärgerte Christian Baldauf. Er forderte einen konkreten Sanierungsfahrplan für diese Bauten. Auf Nachfrage von Ralph Szepanski ordnete Vizepräsidentin Edda Kurz die grüne Forderung nach verpflichtendem Einsatz von Photovoltaik ein. Denkmalschutz, so Kurz, könne nur ein Aspekt sein, der der Umsetzung hier entgegenstehe. Auch die Dachgeometrie, die Zugänglichkeit der Anlagen, Verschattungen oder die Frage nach einer Dachbegrünung zur Verbesserung des Mikroklimas seien zu beachten. Sie sprach sich für technologieoffene Vorschriften und die Öffnung für Lösungen auf Quartiersebene aus. Den vermehrten Einsatz ökologischer und recycleter Baustoffe wollen wieder alle vorantreiben, wobei Daniela Schmitt auf die heimische Forschung in Kaiserslautern stolz war und Alexander Schweitzer sich um die Bezahlbarkeit für Eigentümer und Mieter sorgte.

Man muss die Möglichkeiten nutzen
Alexander Schweitzer, SPD

Das Schwergewicht der Diskussion lag dann auf dem ersten Wahlprüfstein „Zukunftsfeste Lebensräume schaffen“. Es ging ums Wohnen und um die Frage, wie ausreichend bezahlbarer und attraktiver Wohnraum in den Ballungsräumen und in den ländlichen Regionen geschaffen werden könne. Die beiden großen Parteien verwiesen auf die Erfolge im Bündnis für bezahlbares Bauen und Wohnen einerseits und den Rückgang sozialgebundenen Wohnraums in den letzten 15 Jahren andererseits – eine Altlast der 1990er Jahre und ihrer starken Hinwendung zum Markt.

Um den Kommunen Steuerungsmöglichkeiten zurückzugeben, forderte Gerold Reker eine gemeinwohlorientierte Bodenpolitik. Doch an mangelnden Steuerungsinstrumenten liege es nicht, war die Auffassung von Daniela Schmitt. Außerdem wandele sich die Verteilung von Wohnen und Arbeiten, von Stadt- und Landpräferenz gerade unter dem Diktat der Pandemie rasant. Hier eröffneten sich neue, interessante Möglichkeiten.

Die durchmischte Stadt ist und wichtig
Daniela Schmitt, FDP

Christian Baldauf belebte eine traditionelle Idee neu: Das von „Beamten-“ oder „Bediensteten“-Wohnungen. Er sah das Land zunächst in der Pflicht, selbst für die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bezahlbaren Wohnraum anzubieten. Zu realisieren sei dies durch Baulandverkauf zu Höchstpreisen in den attraktivsten Lagen. Hier wollte Anne Spiegel nicht mitgehen, doch die Idee eines Bodenfonds, dessen Erlöse für neue Entwicklungen genutzt werden können, schien ihr verfolgenswert. Und das Instrument der Konzeptvergabe wollte sie intensiver nutzen.

Nach gut einer Stunde war längst nicht alles diskutiert, doch einige unterschiedliche Positionen waren herausgearbeitet und Ralph Szepanski schloss mit dem Dank an die Runde und dem Aufruf „Gehen Sie wählen!“

 

 

Das sagen die Freien Wähler

In der Bodenpolitik sehen die Freien Wähler den Schlüssel zu einer nachhaltigen und sozial ausgewogenen Siedlungsentwicklung: „Wer die dringendsten städtebaulichen Probleme, wie den Wohnraummangel, den Erhalt und die Wiederbelebung attraktiver Ortskerne sowie die Bereitstellung leistungsfähiger öffentlicher Infrastruktur lösen will, muss sich mehr denn je der Bodenfrage stellen.“ Erbbaurecht und ein Landesgrundstücksfonds sollen Kommunen die Baulandentwicklung erleichtern.

Im Zuge der Pandemie sehen sie die Innenstadtentwicklung vor neuen Herausforderungen. Nicht nur der alte Mix von Büro und Handel in den Zentren, auch das Verhältnis Stadt - Land stehe auf dem Prüfstand. Daher bedürfe es auch der stärkeren Förderung nichtinvestiver Maßnahmen. Wirtschaftliche Potenziale sehen die Freien Wähler im Planungs- und Baubereich vom Recycling bis zur Haustechnik. Klimaneutralität wollen sie in Rheinland-Pfalz bis 2040 erreichen.

Bauämter müssen, so die Aussage der FW, personell, technisch und bei der Kompetenz verstärkt werden. Faire Vergabeverfahren und Honorare sind für sie selbstverständlich und sie plädieren für ein „Ministerium des Inneren und des Baus“.

Die Positionen der Linken

Die Linke betont, dass Wohnen Menschenrecht sei und möchte genossenschaftlichen und öffentlich finanzierten Wohnungsbau über Wohnungsbaugesellschaften forcieren. Haushaltsüberschüsse wie 2019 sollen dazu als Grundstock dienen. Freie oder mindergenutzte Grundstücke in den Städten sollen über das Instrument des Baugebotes aktiviert wenden.

Klima gerechtes Bauen soll für Die Linke nicht zu Lasten der Mieter und Mieterinnen gehen. Daher setzen sie sich für eine sozialverträgliche Solarpflicht und einen schrittweise steigenden Pflichtanteil erneuerbarer Energien an der Wohnwärmeversorgung ein. Dies soll für Neubauten wie für grundlegende Sanierungen von Bestandsgebäuden gelten.

Unter dem Motto „Breitband-Internet für alle“ setzt sich Die Linke für eine zügige Digitalisierung und ein erweitertes digitales Antragswesen ein.

Vergabeverfahren möchte sie so ausgestalten, dass kleine und lokale Architekturbüros bessere Chancen als bisher haben, wobei Honorare regelmäßig anzupassen seien. Nach dem Vorbild anderer Bundesländer setzt sich Die Linke für einen eigenen Landtagsausschuss für "Bau- und Wohnangelegenheiten" ein.