19. Juli 2022

Brücken ins Morgen

Festsaal Hambacher Schloss
Der Festsaal des Hambacher Schlosses ist traditionell Bühne für die Hambacher Architekturgespräche
Foto: Kai Mehn, Neustadt

Bauen nach der Flut

Beim Hambacher Architekturgespräch geht es um Grundsätzliches, um das Bauen in und mit denkmalgeschützten Bauten und die Chancen zeitgenössischen Bauens für das bestehende und künftige baukulturelle Erbe. Der aktuelle Handlungsdruck im Wiederaufbau der Flutgebiete scheint zu dieser Grundsätzlichkeit und zur vielleicht etwas kleinteiligen Fachdebatte nicht recht zu passen. Denn Zeit ist hier das knappste aller Güter – weit knapper als Gutachten, Handwerksbetriebe oder Baustoffe, deren Fehlen man allenthalben beklagt. Warum sollte sich also das neunte Hambacher Architekturgespräch auch noch dem Wiederaufbau widmen? Vielleicht gerade deshalb!

In der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 riss die Ahr einfach alles mit sich und hinterließ eine Schneise der Verwüstung: Geschätzt 9.000 Häuser, zahlreiche Kulturdenkmäler und Straßen, aber auch rund 60 Brücken, darunter viele historische Steinbogenbrücken, wurden stark beschädigt oder komplett zerstört. Nun heißt es wiederaufbauen. Eine zentrale Frage dabei lautet: Wie kann das bauliche Erbe gesichert und weiterentwickelt werden. Sind Hochwasser- und Denkmalschutz miteinander vereinbar? Hier gute, abgewogene Konzepte auszuarbeiten, die den Hochwasserschutz und den Klimawandel mit bedenken und trotzdem den gestalterischen und denkmalpflegerischen Anforderungen gerecht werden, darum wird es in den kommenden Jahren gehen. Ideen aus anderen Regionen gibt es bereits: zu Einzelgebäuden, Brücken, aber auch ganzen Ortsbildern. Sie auf die Anwendbarkeit im Ahrtal abzuklopfen, dieser Herausforderung stellten sich ein Freiraumplaner, eine Bauingenieurin und ein Architekt beim 9. Hambacher Architekturgespräch.

Zunächst aber kamen die Initiatoren des informativen Abends zu Wort: So unterstrich Kammerpräsident Joachim Rind die große Bedeutung der Ortsbilder und der sie prägenden Brücken – für die Identität des Tales aber auch für einen Fremdenverkehr, dessen Innovationsstau schon vor der Flut erkennbar war. Deshalb brauche die Region neben Mobilitätskonzepten und Ideen für eine klimaneutrale Region vor allem einen übergeordneten Fahrplan für eine nachhaltige und zugkräftige touristische Infrastruktur. Dass ein guter Wiederaufbau allen Beteiligten vor allem Geduld abverlange, dem stimmten auch Hans-Ulrich Ihlenfeld, Landrat des Landkreises Bad Dürkheim und stellvertretender Vorsitzender der Stiftung Hambacher Schloss, sowie Dr. Roswitha Kaiser, Landeskonservatorin, Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz (GDKE) zu.

Ortsbilder: Schön trotz Hochwasserschutz

Und dann übergab Moderatorin Marie-Christine Werner, Leiterin Landeskultur im SWR2, das Wort an Dr. Heiko Lieske, Arbeitsgruppe Hochwasserschutz + Denkmalpflege an der TU Dresden. Der Freiraumplaner berichtete am Beispiel der mittelalterlichen Stadt Grimma, die 2002 eine verheerende Flut erlebt hatte, wie Anlagen des technischen Hochwasserschutzes möglichst passgenau in sensible Stadt- und Landschaftsräume integriert werden können. Als äußerst wertvoll, so Dr. Lieske, erwies sich die Visualisierung der technischen Vorplanung: Anstelle des anfänglichen Entwurfs einer massiven, monolithischen Mauer zum Ufer der Mulde hin, konnte so eine schwingende und damit sehr viel leichter wirkende Steinmauer mit Bäumen im Vorland errichtet werden. Bäume – potenzielles Treibgut im Vorland? Auch das wurde sorgfältig abgewogen und mit allen beteiligten Fachplanern entschieden.

(Alte) Brücken prägen

Anregungen in Sachen Brückensanierung gab Elisabeth Balk, Leiterin des Stadtbauamtes Ellwangen und zuvor des Stadtbauamtes Ochsenfurt. Unter ihrer Verantwortung konnte die Alte Mainbrücke, eine vom Abriss bedrohte Steinbogenbrücke, saniert werden. Eine der vielen Herausforderungen dabei war eine Aufstauung des Flusses in jüngerer Zeit, die die Durchflussmenge gegenüber der mittelalterlichen Situation signifikant einschränkt. Zwar sei die Situation am Main als großer Bundeswasserstraße nicht mit dem Ahrtal zu vergleichen, aber auch dort müssten wie in Unterfranken ausreichend viele Wasserspiegellagensimulationen durchgeführt und die Gerinnehydraulik vorab gründlich untersucht werden. Nur so könne man eine belastbare Entscheidungsgrundlage gewinnen, so Balk.

Unter neuen Vorgaben bauen

Einen weiteren Vorgeschmack auf das hochwasserangepasste Bauen nach der Flut gab Architekt Hans-Jürgen Stein, Stein Hemmes Wirtz Architekten aus Kasel. Im Hotel Riesling-Quartier an der Mosel wurden sowohl die wasserrechtlichen Vorgaben als auch eine regionaltypische Bauweise und dazu Barrierefreiheit konsequent umgesetzt. Das Bauwerk mit klaren Bezügen zum Landschaftsraum fügt sich sensibel in das Ortsbild von Kröv ein. Ausweichen – Sichern – Dulden – alle drei Grundstrategien des hochwasserangepassten Bauens wurden in Teilaspekten hier klug kombiniert.

„Weg ist weg!“

Mit dieser Warnung endete die abschließende Gesprächsrunde, die ein starkes Plädoyer für den Erhalt der alten Baudenkmäler war. Zugleich ging es darum, aus den vorgestellten Projekten zu lernen und zu verstehen. So wies Dr. Lieske darauf hin, dass gerade in den engen Flusstälern viele kulturelle, identitätsstiftende Werte geschaffen worden sind. Sein Rat aus zwanzigjähriger Erfahrung mit dem Bauen am Wasser: Genau hinschauen, sorgfältig abwägen, denn: „Gerade die Verbindung von wunderschönem Naturraum des Flusses auf der einen Seite und den kulturellen Errungenschaften andererseits sind prägend.“ Hier sollte man Sorgfalt walten lassen und die Dinge zu Ende denken. Auch müssten die Betroffenen, Wasser- und Städtebauer, Architekten, Landschaftsplaner und Denkmalpfleger mit ins Boot geholt werden, um diese einzigartigen Orte und Landschaften zu erhalten. Zum Hochwasserschutz gibt es keine Alternative, so das einhellige Fazit, aber auch nicht zum Denkmalschutz. Denn weg sei eben weg. Hans-Jürgen Stein ergänzte: „Wenn man am Fluss baut, dann aber auch so, dass man den
Fluss erleben kann.“