25. November 2020

Baukultur ist universell wirksam

Reiner Nagel, Vorstandsvorsitzender der Bundes-stiftung Baukultur
© Till Budde / Bundesstiftung Baukultur

Baukultur beschäftigt uns seit Jahrzehnten. Wir haben den Vorstandsvorsitzenden der Bundesstiftung Baukultur, Reiner Nagel, um seine Einschätzung gebeten

Baukultur ist heute bundesweit zu einer von vielen Politikern, Bauherren oder Initiativen gesehene, genutzte und anerkannte Handlungs- und Gestaltungsebene für Städte und Gemeinden geworden.

Auf dem Weg ins achte Kammerjahrzehnt befinden wir uns in einem besonderen Jahr 2020. Die Verletzlichkeit unseres gesellschaftlichen  Zusammenlebens und -arbeitens wird mehr denn je aufgezeigt und die Notwendigkeit eines massiven Umbruchs als erforderlich gesehen. Angesichts des Klimawandels aber auch wirtschaftlicher Rahmenbedingungen ist ein weiter so nicht vorstellbar. Aktuell prognostizieren gleich mehrere neuerschienene Sachbücher eine 2020 beginnende Zeitenwende. Dabei sind die vorgeschlagenen Wege, den weltweiten Krisen und der gesellschaftlichen Spaltung zu begegnen, unterschiedlich und meist wenig konkret. Baukultur wird dabei häufig nicht als Teil der Lösung gesehen, sondern immer noch als ein Luxusthema, das man sich leisten können muss. Weit gefehlt! Baukultur ist universell und ganzheitlich wirksam und diejenige Ebene, die die Basis für stabile Sozialräume und eine resiliente Umwelt legt.

Ein Nachdenken über die Zahlenreihe 1950 – 2020 – 2090 lässt keinen Zweifel daran, dass wir in diesem besonderen Jahr des Kammergeburtstags in Rheinland-Pfalz tatsächlich vor großen Aufgaben in der Zukunft stehen. Die kommenden 70 Jahre sind mindestens so herausfordernd wie die zurückliegenden. Neben den Aufgaben ändert sich aber auch die Rolle der Architektinnen und Architekten. Waren sie vor 70 Jahren noch in der Tradition der entwerfenden Baumeister maßgebliche Akteure des Baugeschehens der Nachkriegszeit, so sind viele heute zwischen Planungs- und Baurecht, technischen Normen, Haustechnik oder BIM bestenfalls zu Managern des Bauens geworden. Entwurf und Gestaltung treten in den Hintergrund und laufen Gefahr, zu einer Teilleistung „Styling“ zu werden, die beim ersten Rendering endet.

Ohne eine kluge Planung und Gestaltung von Hochbauten und Infrastrukturen und ohne die übergreifende Zusammenarbeit auch bei der Weiterentwicklung von Baupraxis und -produkten kann aber keine gute Baukultur entstehen. Das gilt für die Zukunft mehr denn je. Wir müssen von geteilten Verantwortungsbereichen stärker auf Projektorganisation umschalten und fachübergreifend ergebnisorientiert arbeiten. Hierbei müssen Architektinnen und Architekten die Synthese aller Rahmenbedingungen und unterschiedlicher Anforderungen in Richtung hochwertiger Gestaltung schaffen. Diese Gestaltgebung als Kernkompetenz der Architektur hat eine Schlüsselstellung für die Baukultur. Viele kennen das Zitat von Antoine de Saint-Exupéry: „Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen und Arbeiten einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“ Wenn wir in diesem Sinne der Baukultur noch stärker zum Erfolg verhelfen wollen, müssen wir den Weg über emotional berührende Architektur und Ingenieurbaukunst gehen, über das gute Beispiel und die Geschichte dahinter.