15. Oktober 2010

Wohin geht der Trend?

Ein Kommentar von Klaudia Martini zur aktuellen Situation der Baukultur in Deutschland. Martini war von 1991 bis 2001 Umweltstaatsministerin in Rheinland-Pfalz und ist Trägerin der Wolfgang-Hirsch-Auszeichnung der Architektenkammer Rheinland-Pfalz.

Das Wort Baukultur spielt in der täglichen Praxis von Bauherrnschaft, Architekten, Auftraggebern, Bauträgern, öffentlichen Einrichtungen und Behörden kaum noch eine Rolle. Findet nicht ein Architekturwettbewerb um ein repräsentatives Bauvorhaben statt, sucht man die Verbindung von Kultur und Bau vergebens. Auch bei der Erstellung von Bebauungsplänen geht das Wort Baukultur den Planenden und Entscheidern selten über die Lippen. Heute ist Nützlichkeit, Kostenbewußtsein, Schnelligkeit und die Ausbeute des größtmöglichen Volumens auf vorhandenem Raum gefragt. Dies heißt, dem Zeitgeist huldigend noch ein wenig chices Design, ein wenig Schnick Schnack hinzufügen und fertig ist der zeitgemäße Bau. Warum hat Baukultur keinen allgemein gültigen Stellenwert und tritt hinter dem „Design“ zurück? Ist „Baukultur“ altmodisch und „Design“ cool und modern?

Unter Kultur wird „die Gesamtheit der typischen Lebensformen einer Bevölkerung einschließlich der sie tragenden Geistesverfassung, besonders der Werteinstellungen“ verstanden, so steht es im Brockhaus. Welche Lebensformen, Geistesverfassung und Werteinstellungen spiegelt die überwiegende Bauweise unserer heutigen Wohnneubaugebiete, städtischen Neubauten und Gewerbebauten wieder? Es ist Beliebigkeit, Gleichgültigkeit gepaart mit reinem Nützlichkeitsdenken und Profitsteigerungsabsichten. In unserer globalisierten Gesellschaft haben es angestammte Traditionen und Wertvorstellungen zunehmend schwerer als eigenständiges Merkmal Bestand zu haben. Dies gilt für Einstellungen zu Themen wie Heimat, Tradition, Familie, Kunst und Kultur ebenso wie für Baukultur.

Die Kopie einer traumhaften spanischen Finka hat in einem Neubaugebiet im Hunsrück nichts verloren, ebenso wie ein bayerischer Baustil nicht nach Niedersachsen gehört. Regionaltypische Bauweise, die Örtlichkeit erkennbar macht, die Tradition und Geschichte ebenso widerspiegelt wie örtliche Gegebenheiten macht die Vielfalt unserer Kulturlandschaften und Städte aus. Demgegenüber die Eintönigkeit ungezählter Fußgängerzonen, die Städte austauschbar machen, die jedoch helfen, das Schema der internationalen Filialgeschäfte wieder zu erkennen, aber angestammten Einzelhandelsgeschäften keinen Raum zum Überleben lassen. Oder Neubaugebiete die einen Bruch darstellen zum Ortsbild und aussehen wie Musterhaussiedlungen, dies alles trägt dazu bei, dass Gleichgültigkeit gegenüber der Gestaltung unserer Um-Welt wächst und Eintönigkeit vorherrscht.

Begünstigt wird diese Entwicklung nicht nur durch das Schwinden von Wertvorstellungen, sondern auch durch die Gesetzgebung. (Diese ist zunehmend Ausdruck der gesellschaftlichen Befindlichkeit anstatt Orientierung und Maßstab zu sein!) Der Trend hin zu Entbürokratisierung, verstanden nicht als Befreiung von überflüssigem Kontrollbalast, sondern als Freiheit von gestalterischen Regelungen, ermöglicht durch die Baugesetze eine geschmackliche Vielfalt, die den kulturellen Gegebenheiten häufig nicht entspricht.

Das bayerische Oberland beispielsweise, das aufgrund seiner lange Zeit vorherrschenden typischen Bauweise und Ortsgestaltung Beispiel war für kulturelle Erkennbarkeit und dadurch viel zum Bewusstsein einer eigenständigen Tradition und Geschichte beigetragen hat, verliert zunehmend Konturen nachdem die Bayerische Bauordnung dem Trend der Entbürokratisierung gefolgt ist. Nachgeahmter Bayernkitsch ist genauso wenig aufzuhalten wie gesichtsloses Bauträger-Bauen. Ein wenig Holzverschalung hier und da reicht aus, um das Alpenländische zu ersetzten. Wer sich zum Beispiel im Tegernseer Tal umsieht, entdeckt auch hier bereits deutliche Spuren einfallsloser, bestenfalls nachgeahmte Baustile. Ich will nicht falsch verstanden werden: Mir geht es nicht darum Museumslandschaften als Baustil festzuschreiben. Vielmehr darum, mit einer zeitgemäßen Interpretation der typischen Baukultur die regionale Identität und naturbedingte Ortsüblichkeit fortzuschreiben. Unabdingbar gehören hierzu die An- und Einpassung in naturräumliche Gegebenheiten ebenso wie die bestmögliche Umsetzung neuer Technik zur Resourcenschonung. Das schließt zum Beispiel eine extreme Hangbebauung aus - die zur Vergewaltigung von gewachsenen Bergrücken führt - kann aber durchaus eine moderne Flachdachkonstruktion aus heimischen Hölzern erlauben.

Bauen, Architektur soll den Menschen dienen. Soll ein Zuhause schaffen, soll Produktion und Dienstleistung in Gewerbebauten ermöglichen. In einer globalisierten Welt in der vieles austauschbar geworden ist, kann und sollte die gebaute Um-Welt Orientierung geben. Eben nicht als beliebige Design-Konstruktion sondern als gebauter Ausdruck von Kultur. Effiziente Verarbeitung von Material, Einbindung in die städtebaulich gewachsene Umgebung oder Naturräume kann damit ebenso umgesetzt werden, wie neueste Technik zum Resourcenschutz. Kluge Bebauungspläne können den Bodenverbrauch minimieren ohne den Eindruck von Musterhaussiedlungen zu erzeugen. Die Größe von Grundstücken und Häusern müssen wieder ein angemessenes Verhältnis zueinander aufweisen. Kluge Weiterentwicklung von regional typischen Baustilen kostet nicht mehr Geld, aber zugegebenermaßen mehr Kreativität und Überzeugung.

Alle die an der Planung und am Bebauen unserer Umwelt beteiligt sind - Behörden, Kommunalpolitiker, Architekten und Baufirmen - sollten eine Weiterbildung in Sachen Kultur, Werte und Verantwortung für die Zukunft erhalten. Das Bauen ist etwas für Menschen die langfristig denken. Nachhaltigkeit im Sinne von Resourcenschutz und Kulturschutz sind gefragt. Es darf mein Traum bleiben, dass dies realisierbar wäre?

 

Archivbeitrag vom 15. Oktober 2010