17. Mai 2021

Suezkanal, Borkenkäfer und Weltmarkt

Ausverkauft! Schnittholz wird rar - Fotomontage mit gefällten Baumstämmen und Wald in schwarz-weiß
Fotos: Annette Müller, Mainz

Architektinnen und Architekten spüren es derzeit hautnah: Baumaterialien wie Stahl, Holz oder Dämmstoffe werden – sofern sie überhaupt ohne lange Lieferzeiten auf dem Markt verfügbar sind – deutlich teurer. Wie kommt's? Was folgt daraus? – Ein paar Hinweise gibt das Thema Holz. Lösungen sind kurzfristig nicht in Sicht.

Seit mindestens zehn Jahren lagen der Weltmarkt und der europäische Marktpreis für 1.000 Kubikfuß Holz ziemlich stabil bei rund 300 US-Dollar bzw. Euro. Das hat sich grundstürzend geändert. An der US-Terminbörse ist der Preis binnen zwölf Monaten von 300 auf in der Spitze knapp 1.700 US-Dollar gestiegen. Ein scheinbar stabiler Markt und eine ganze Verwertungskette geraten damit ins Rutschen. Die massive Unwucht trifft die Bauwirtschaft durch Lieferengpässe und Preissprünge ebenso empfindlich wie unvorbereitet, auch in Rheinland-Pfalz. Hannsjörg Pohlmeyer ist Geschäftsführer des Holzbau-Clusters Rheinland-Pfalz. Prof. Dr. Christopher Robeller, bis zum vergangenen Jahr Juniorprofessor an der TU Kaiserslautern, lehrt nun an der Hochschule Bremen. Beide erläutern im Gespräch Hintergründe des Engpasses und geben erste Perspektiven.

Vom Weltmarkt...

Ganz allgemein ist die Coronapandemie in doppelter Weise für Preissteigerung bei vielen Baustoffen verantwortlich: Zum einen gab es im ersten Halbjahr einen Nachfrageeinbruch, weshalb weltweit die Produktionskapazitäten heruntergefahren wurden. Zum anderen sprang die Konjunktur in China im dritten Quartal 2020 kräftig an. Die Produktionskapazitäten konnten mit der chinesischen Nachfragesteigerung nicht mithalten, so die Analyse der Bauwirtschaft in Baden-Württemberg. China wurde zum Beispiel vom Stahlexporteur zum Stahlimporteur.

Beim Holz steht es ähnlich. Nach wie vor werden in Deutschland rund 25 Millionen Kubikmeter Schnittholz pro Jahr produziert und verbraucht. Die Schnittholzproduktion hat mit dem steigenden Verbrauch im Inland bilanziell seit rund zehn Jahren gut Schritt gehalten. Was die Bilanz auf den ersten Blick nicht sagt: Der Markt ist weltweit vernetzt, nur rechnersich halten sich Im- und Export in der Waage. Hochwertige Ware, also Sichtholzqualtiät, kommt allerdings oft gar nicht aus heimischen Wäldern. In den Sägewerken werden hierfür bevorzugt Nadelhölzer aus Skandinavien und Österreich verarbeitet. Wenn aber die Container dort gepackt sind, ist es kaum noch ein Unterschied, ob sie nach Deutschland oder in die USA verschickt werden. Der hohe Preis macht den längeren Transportweg mehr als wett, weiß Hannsjörg Pohlmeyer.

Für die absurd scheinenden Preissprünge auf dem Weltmarkt sind indessen mehrere Faktoren verantwortlich. Zum einen wirken die Handelsstreitigkeiten des letzten US-Präsidenten mit Kanada nach. Hohe Strafzölle verhindern, dass kanadisches Holz in die USA gelangt. Zu Beginn der Pandemie wurden dort Produktionskapazitäten stillgelegt, dann haben die Wälder in katastrophalem Umfang gebrannt und schließlich zog die Bauwirtschaft in den USA wieder stark an. Im Ergebnis fehlt den USA Holz, das nun im großen Stil auf dem Weltmarkt zusammengekauft wird.

    

Auswirkungen auf die Büros

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Für Architektinnen und Architekten haben die Preissteigerungen bei den Baustoffen Auswirkungen: Einerseits gehört die laufende Kostenkontrolle und entsprechende Beratung des Bauherrn zu den Nebenpflichten eines Architekten bzw. einer Architektin (BGH, Urt. v. 23.01.1997 - VII ZR 171/95). Andererseits ist bei Kostenermittlungen vom Kostenstand zum Zeitpunkt der Ermittlung auszugehen: Aus reinen marktbedingten Preissteigerungen ergeben sich keine Anhaltspunkte für Fehler von Kostenermittlungen (Seifert/Fuchs, in: Fuchs/Berger/Seifert, § 4 HOAI Rn. 51).

Vertreten wird, dass sich für Materialpreissteigerungen die Verantwortung des Büros darauf beschränkt, die Bauherrschaft unverzüglich auf eine Überschreitung des Gesamtkostenrahmens hinzuweisen (Prause, DAB 2017, 36). In diesen Fällen ist eine eventuelle Kostenobergrenze für die Kostengruppe 300 und der Gesamtkostenrahmen entsprechend anzupassen. Wünscht die Bauherrschaft stattdessen eine Umplanung, um Kosteneinsparungen zu erzielen, ist § 10 HOAI zu beachten (Prause, DAB 2017, 36).

Weitere Hinweise finden sich bei Prause, "Die Kostenbremse kann teuer werden", DAB 2017, 35 f.    

 

Vom Suezkanal...

Doch die Gemengelage ist viel komplizierter. Als vor wenigen Wochen eine Havarie im Suezkanal Teile der Wirtschaft - darunter zum wiederholten Mal die Autoindustrie - hart traf, weil Lieferketten versiegten und binnen kürzester Zeit Produktionen still standen, mag man die Kurzsichtigkeit einer auf die Autobahn und Weltmeere outgesourcten Lagerhaltung bespöttelt haben. Jetzt wissen wir: Es gibt noch ein paar andere Sektoren neben Autoindustrie und Online-Buchhandel, die sich ans "heute bestellt, morgen geliefert" gewöhnt haben. So stand die Produktion im Holztafelbau teilweise still, weil die für die Vorfertigung nötigen Leerrohre im Roten Meer auf Weiterfahrt warteten. Vielen Sägewerken, Zimmerern oder Schreinereien war in den letzten Jahren der Platz für die Holzlagerhaltung zu teuer geworden. Jetzt fehlt der Puffer. Kurzarbeit bei vollen Auftragsbüchern ist das absurde Ergebnis.

    

Auswirkungen für Bauunternehmen

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Bereits in der Vergangenheit änderten sich je nach Marktlage die Stahl- oder Kupferpreise innerhalb der Bauzeit zum Teil gravierend (Kimmich/Bach, VOB für Bauleiter, E.II.3.). Neben Auftragnehmern forderten auch Baustahllieferanten gegenüber ihren Vertragspartnern oftmals eine Vertragspreisanpassung wegen „Störung der Geschäftsgrundlage“, wenn es zu solchen Preiserhöhungen kam.

Das OLG Hamburg (und ihm folgend das OLG Düsseldorf) lehnte eine Preisanpassung unter anderem mit der Begründung ab, der Auftragnehmer hätte sich ja vorausschauend eindecken oder Preisgleitklauseln vereinbaren können. Dieser Auffassung wird dahingehend entgegengetreten, dass eine Entwicklung plötzlich und für alle überraschend eintreten kann; „vorausschauend“ ist dann nichts zu sehen (Kapellmann, in: Kapellmann/Messerschmidt, VOB/B, § 2 Rn. 506). Geraten wird, auf den jeweiligen Einzelfall abzustellen: Wenn Baustahl lediglich 10 Prozent der Gesamtkosten bei einem Generalunternehmer ausmache, sehe die Situation anders aus als bei einem reinen Stahlbauer, der einen Großauftrag abwickele.

  

 

Vom Borkenkäfer...

Haben wir also nur das heimische Holz aus den Augen verloren? Wie wär's damit? Exportstopp!  Hannsjörg Pohlmeyer klärt auf: Die drei vergangenen Trockenjahre haben dem Wald stark zugesetzt. Für die Holzverarbeitung wird in erster Linie Nadelholz benötigt. Der Klimawandel trifft Fichte und Tanne aber besonders hart. Trockenheit und Borkenkäfer haben dem Bestand in Rheinland-Pfalz geschadet, es musste viel gefällt werden. Doch dieses Holz erfüllt eben nicht die Qualitätskriterien von Sichtholz. Es hat Bohrgänge, ist blau- oder rotstichig, lässt sich in den Sägewerken schwerer verarbeiten, weil eigentlich noch nicht in fällreifer Dicke oder zu tocken oder sonst wie geschädigt. Dieses Holz kommt nicht auf den Bau. Es erzielt auch keine 300 oder gar 1.700 US-Dollar. Dieses Holz wird für 30 Euro nach China verramscht. Noch eine absurde Wendung: Weltweit ist Holz knapp und teuer, gleichzeitig deckt ein Großteil dessen, was zwischen Westerwald und Pfalz gefällt werden muss, nicht einmal die Kosten, weiß Pohlmeyer.

Dass die Verpackungsindustrie für all die vielen, bequemen Verpackungen der Onlinebestellungen, für Einwegpaletten und Kaffeebecher inzwischen fünf bis sechs Millionen Kubikmeter Schnittholz jährlich verbraucht, erwähnt der Fachmann des Holzbau-Clusters Rheinland-Pfalz noch am Rande...

   

Wie weiter?

Beim Holz sind die Prognosen sehr unterschiedlich. Die optimistischeren Experten, so Pohlmeyer, schätzen, dass sich der Markt im dritten oder vierten Quartal beruhigt. Vorraussetzung hierfür wäre die Beilegung des Handelskrieges zwischen den USA und Kanada unter dem neuen US-Präsidenten. Die zweite Annahme zehrt von den häuslichen Toilettenpapier-Erfahrungen aus dem ersten Lockdown: Wenn alle Verarbeiter sich die Knappheit zu Herzen genommen und ihre Lagerkapazitäten aufgefüllt haben, entspannt sich die Nachfrage. Doch Hannsjörg Pohlmeyer warnt vor allzuviel Optimismus: Eine dann wieder kalkulierbare Versorgung hält er für möglich. Die alten Preise wird es nach seiner Auffassung aber so schnell nicht wieder geben. Dauerhaft müsse man sich zudem auf eine aufwendigere Vorratshaltung einstellen.

Um mehr Ressourceneffizienz, so Pohlmeyer, komme man nicht herum. Der Klimawandel erfordere in den nächsten zwei Jahrzehnten einen kontinuierlichen Umbau des Wirtschaftswaldes. Im optimistischen Szenario eines geordneten Übergangs wird es nach seiner Einschätzung in den kommenden zwanzig Jahren vermehrt Nadelhölzer am Markt geben. Der Umstieg auf eine von Laubhölzern und allenfalls Douglasien dominierte Holzwirtschaft erfordere für die Holzverarbeiter allerdings grundlegende Innovationen. Hier stehe man noch ganz am Anfang. Dies bestätigt auch Professor Dr. Robeller. Sein Thema ist die Digitalisierung einerseits, die Rückbesinnung auf nachhaltigere Holznutzung andererseits.

Pohlmeyer fordert ein Umdenken hinsichtlich der verwendeten Qualitäten. Im konstruktiven Bereich sei gar nicht einzusehen, warum Hölzer aus der Verwendung ausscheiden, die keine Sichtqualität haben. Eine Einschätzung, die Robeller uneingeschränkt teilt. Schnelle Lösungen sind aus seiner Sicht hier aber nicht zu erwarten. Man müsse mit den sogenannten Schwachhölzern unbedingt anders arbeiten. Brettsperrholz, Leimholz in Endlosträgern... viele Verwendungen sind denkbar. Die dazu nötige Verarbeitung setze jedoch große, zentralisierte Fabriken voraus - die gibt es bereits: In Österreich, in Finnland und in Schweden.

Bei der Verarbeitung könne die Digitalisierung in Zukunft sehr wertvolle Dienste leisten, ist Robeller überzeugt. Stämme können heute schon automatisch gescannt und auf ihre konkreter Beschaffenheit hin untersucht werden. Diese Daten müssten dann in eine optimierte Verarbeitung einfließen. Die zunehmende Digitalisierung könne den Grad der Vorfertigung beim Holzbau enorm steigern und einen Teil des Fachkräftemangels gleich mit lösen, so seine Prognose, doch es fehle an Innovtionskraft. Der Bausektor sei bei die Forschungsinvestitionen und dem Grad der Automatisierung gegenüber anderen Branchen auch wegen der sehr kleinteiligen Betriebsstruktur das Schlusslicht. Gleichzeitig ist der Hebel der Bauindustrie beim Klimaschutz enorm. Widersinnig auch das.

Aufs Holz bezogen buchstabiert sich das so: Die aktuelle Software inklusive BIM - Building Information Modelling - bietet noch keine adäquaten Lösungen. Fertigungsrelevante Daten für den Holzbau seien eben noch nicht inkludiert, die komplette Detaillierung damit bei den Holzbaubetrieben und außerhalb des BIM-Modells. Als Architekt sieht Robeller hier nicht nur Schnittstellenprobleme, sondern aus gestalterischer Sicht eine große Gefahr: Diese Form der Automatisierung marginalisiert den Einfluss der Architektenschaft auf die Konstruktion. Gestaltungsoptionen schwinden. Genau die möchte Robeller aber im Gegenteil wieder für den Holzbau erschließen. Er verweist auf die sogenannten Zollingerdächer - aus dem Mangel heraus vor rund 100 Jahren entwickelt - haben sie in faszinierender Weise Material optimiert, mit Schwachhölzern oder kurzen Qualitäten gearbeitet. Diese intelligente Sparsamkeit, eine kluge Geometrie und die neuen Möglichkeiten der Digitalisierung könnten sich, so Robeller, zu einem nachhaltigeren Umgang mit dem knappen Rohstoff ergänzen. In seiner Zeit in Kaiserslautern hat er ein kleines Forschungsprojekt im Diemersteiner Tal betreut: Ausschnitte für Fenster und Türen aus Brettsperrholztafeln wurden zur "Recycleshell" verarbeitet. Ein Pavillon im Pfälzer Wald - ein erster Schritt, immerhin.

Völlig unterbelichtet sei das Thema Recycling, meint Hannsjörg Pohlmeyer. Höchstens ein Viertel des Altholzes, so seine Schätzung, werde derzeit wiederverwertet. Oftmals in Form von Spanplatten, also eher im Down- als im Recycling - jammerschade, kurzsichtig und eine lohnende Innovationsaufgabe, meint Pohlmeyer.

 

Text: Annette Müller

Der Artikel geht auf Beiträge der Architektenkammer Baden-Württemberg und der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen zurück. Wir danken den Kolleginnen und Kollegen für die Zustimmung zur Übernahme. Herzlichen Dank auch an Hannsjörg Pohlmeyer vom Holz-Cluster Rheinland-Pfalz und an Professor Dr. Christopher Robeller, Hochschule Bremen, für die kenntnisreiche und geduldige Unterstützung.