02. Juni 2020

Statt Plexiglas und Flatterband

Pylon auf dem Pflaster
Corona-Hindernislauf: Pylone und Klebebänder wohin man tritt…
Architektenkammer Rheinland-Pfalz/Fotografin: Kristina Schäfer, Mainz

Provisorien für Abstand und Hygiene stehen uns überall in den Füßen herum – Wie lange werden sie uns begleiten?

Marktforschung, Verkaufspsychologie und Corporate Identity - viele Einzelhandelsunternehmen haben bis vor wenigen Wochen viel Wert auf die ausgefeilte Gestaltung ihrer Verkaufsräume gelegt. Längst nicht nur die großen Einkaufsmärkte, gerade auch mittlere oder kleine Einzelhändler und Gastronomen wollten bei Wandgestaltung, bei Präsentation, in Lauf- und Aufenthaltsbereichen nichts dem Zufall überlassen. Alles Schnee von gestern! Inzwischen improvisieren Handel, Gastronomie und Dienstleistung mit Absperrbändern, Plexiglasabtrennungen und Klebemarkierungen auf dem Fußboden. Plötzlich spielt sich unser Alltag vor, neben und hinter rot-weißen Flatterbändern ab. Muss das so sein?

"Zum Glück haben wir aktuell sonniges Wetter, die Menschen in den Warteschlangen vor den Märkten würden sonst im wahrsten Sinne des Wortes im Regen stehen. Und auch drinnen erleben Kunden und Verkaufspersonal gerade schwierige Zeiten. Dabei würden schon ein paar richtig eingesetzte Schallreflektoren verhindern, dass man sich bei Bestellungen über die Absperrungen hinweg anbrüllt", weiß Eva Holdenried, Innenarchitektin und Vorstandsmitglied bei der Architektenkammer Rheinland-Pfalz und kritisiert viele Gedankenlosigkeiten. Wie kommen beispielsweise Rollstuhlfahrer mit all den neuen Barrieren zurecht?

Bis zur Entwicklung wirksamer Medikamente oder Impfstoffe gegen das Coronavirus werden uns die neuen Regeln des Zusammenlebens wohl erhalten bleiben. Mehr und mehr richten wir uns in einer Alltagswelt ein, die den Umgang mit dem Ansteckungsrisiko als neue Normalität anerkennt. Umso wichtiger ist es, die sperrigen Provisorien durch vernünftige und gut funktionierende Lösungen zu ersetzen. Denn mit der Erkenntnis, dass wir über längere Zeiträume sprechen, wächst das allgemeine Bedürfnis, vom Ausnahmezustand zu einer bequemen Selbstverständlichkeit zu kommen. Ohne ein paar Investitionen wird das nicht gehen. Doch in finanziell angespannten Zeiten sollten die besonders gut durchdacht und auch in Zukunft weiter nutzbar sein. Das klingt nur scheinbar nach einem Widerspruch.

So können viele Wartezimmer in Arztpraxen in Sachen Abstandsregeln optimiert werden. Nicht nur mit Blick auf die Coronazeiten wäre das sinnvoll, auch Datenschutz und Diskretion sind mit größeren Abständen besser vereinbar. Neben den Patienten würde natürlich auch das Praxispersonal dauerhaft geschützt - vor COVID-19 und anderen Infektionskrankheiten.

In vielen Fällen geht es beim "Corona-Check" also um die optimierte Ausnutzung der vorhandenen Flächen und Potenziale. Innenarchitektin Holdenried rät: "Schon eine alternative Möbelanordnung kann für die notwendigen Mindestanstände sorgen. Auch Desinfektionsstationen in den Büros, Praxen und Läden wären als attraktive Möbel gestaltbar."

Passgenaue Konzepte sind wichtig, auch für Hotelbetriebe und Gastronomie. Sie erleben gerade eine besonders harte Zeit. Aber mit den aktuellen Erfahrungen gehen viele Experten davon aus, dass der Urlaub in Deutschland wieder an Attraktivität gewinnt. Wer es ermöglichen kann, sollte also die Zeit nutzen, um sein Haus zukunftsfähig zu gestalten und neue Impulse zu geben. Hier können Innenarchitekturbüros einen Fahrplan entwickeln, der mit kleinen Schritten umgesetzt werden kann. Oder vorerst nur beratend tätig werden, wenn der Invest für eine vollumfängliche Umgestaltung zu groß ist.

Denn wie sensibel der Mensch auf die Räume reagiert, in denen er sich täglich aufhält, haben wir alle in den letzten Wochen noch einmal neu gelernt. Und kaum jemand möchte dauerhaft seinen Alltag um Flatterbänder herum organisieren.