19. September 2016

In der Vorhölle der Erbärmlichkeit ...

Edda Kurz
Vizepräsidentin Edda Kurz
Foto: Heike Rost, Mainz

Vom 6. Oktober bis 7. November 2016 zeigt das Zentrum Baukultur zusammen mit dem Institut Francais die umstrittene Ausstellung "Plätze in Deutschland 1950 und heute". Vorstandsmitglied Edda Kurz nimmt Stellung dazu.

In der Vorhölle der Erbärmlichkeit, so titelte Gerhard Matzig in der Süddeutschen Zeitung vom 22. Januar 2014. Es geht um die Ausstellung „Plätze in Deutschland 1950 und heute“, die am 6. Oktober nun auch im Institut Français in Mainz in Kooperation mit dem Zentrum Baukultur eröffnet wird - nachdem sie seit Mitte 2013 in vielen deutschen Großstädten gezeigt wurde.

Nicht eigentlich die Ausstellung beschreibt der abwertende Titel - vielmehr nimmt er das Fazit vorweg, das der Betrachter nach dem Konzept der Ausstellungsmacher, Prof. Christoph Mäckler und Birgit Roth vom Deutschen Institut für Stadtbaukunst an der TU Dortmund, aus der Gegenüberstellung von Stadtansichten von 1950 und heute in Bezug auf die Stadtplanung der zurückliegenden Jahrzehnte ziehen soll. In großen Schwarz-Weiß-Fotografien werden dabei jeweils eine Platzansicht aus der Nachkriegszeit und ein aktuelles Bild aus dem gleichen Blickwinkel gegenübergestellt.

Bewusst werden nicht Kriegszerstörungen thematisiert, sondern es wird in den Fokus gerückt, was insbesondere durch Verkehrsplanung, durch den Umbau zur autogerechten Stadt, dem Leitbild der 60er Jahre, und schlichtweg durch Architektur im Zeitgeschmack der 70er und 80er Jahre verändert wurde - immer zum Schlechteren, wie die Bildpaare eindrucksvoll beweisen wollen. Bewusst ist auf Erläuterung und Kommentierung verzichtet, die Bilder sollen für sich sprechen, die Betrachter den Niedergang der deutschen Stadtbaukunst von selbst erkennen. Dabei ist die Machart der Ausstellung nicht als Diskussionsforum konzipiert, lässt keinen Interpretationsspielraum, vielmehr impliziert die Darstellung in würdevollen Holzrahmen und in Distanz wahrender schwarz-weiß Wiedergabe eine Tatsachenebene, die längst ausdiskutiert ist.

Wozu dann aber hingehen, fragt man sich?
Um sich mit dem wohligem Schauder des Nichtverursachers und Besserwissers beim Anblick von fehlgeleiteten Projektierungen zu schütteln, von Fehlentwicklungen, die man längst kennt, die man hundertfach diskutiert und auch bedauert hat?

Der Ansatz der Bilderschau scheint banal und überholt, geht er doch an aktuellen Themen und Entwicklungen vorbei. Die heutige Generation der Architekten und Stadtplaner hat diese Probleme längst erkannt und bietet Lösungen an. Warum zeigt man nicht die Neue Mitte von Ulm, wo durch den Rückbau einer vierspurigen Stadtstraße ein urbanes Ensemble entstanden ist, das gleichermaßen aus hochwertiger Architektur und einer gelungenen Infrastrukturlösung besteht?

Wo sind die Bilderpaare von der Rheinuferpromenade in Düsseldorf, wo Architekt Niklaus Fritschi schon in den 90er Jahren eine von mehr als 55.000 Fahrzeugen täglich befahrene Straße durch eine wunderbare Grün- und Fußgängerzone ablöste? Weshalb gibt es keine Beispiele zum Stadtumbau Ost, zum Teilrückbau und Umbau von Plattenbauten in zahlreichen Städten, in denen durch intelligente Lösungen lebenswerte Wohnquartiere gestaltet wurden? Auch Beispiele für Konversionsprojekte, die sich mit der Transformation von überdimensionierten Bahnflächen oder nicht mehr benötigten Industriehäfen auseinandersetzen und die Rückgewinnung dieser Areale in die Städte ermöglichen, sucht man vergebens!

Die Aufgabe der Architektur und Stadtplanung ist es, Lösungen für die aktuellen Fragen nach dem Leben unserer Gesellschaft in den Städten zu finden, nach bedarfsgerechtem Wohnraum für zeitgemäße Wohnformen, nach Mobilität und Infrastruktur. Daraus ist eine Stadtgestalt zu entwickeln, die Raum bietet für alle Lebensbereiche, für Öffentlichkeit und Privatheit, für Arbeit und Freizeit - kurzum Lebensraum. Diese Aufgabe ist zu komplex, um sie immer wieder mit Bildern von damals zu beantworten, einem „Damals“, das eben eine andere Lebenswirklichkeit bedeutet, als die, für die wir heute planen und bauen.

Tatsache ist, dass diese Rückbesinnung derzeit Konjunktur hat - Überliefertes aus der Vergangenheit bedeutet Beständigkeit und vermittelt Orientierung in einer Zeit des schnellen Wandels, der vielerorts als Unsicherheit empfunden wird. Aber dieses Gefühl kann eben nur wahrhaft Überliefertes und echt Historisches vermitteln, Authentizität ist der Schlüssel zu einer zeitgemäßen Stadtgestalt. Dies kann nicht ersetzt werden durch Reparaturen der zweifelsohne beklagenswerten Stadtbausünden der 60er, 70er und 80er Jahre, wenn diese abgleiten in ein Wiederherstellen von Bildern und Motiven aus dem kollektiven Gedächtnis, die die „gute alte Zeit“ als Plagiate heraufbeschwören sollen.

Was wollen die Bürger der Stadt Berlin mit einem Stadtschloss, warum muss der Frankfurter Römerberg auf einer Parzellenteilung errichtet werden, die mittelalterliche Gassen suggerieren soll? Versatzstücke wie Fensterformate, Traufhöhen und Parzellengrößen sind kein Lösungsansatz, aus dem Stadtbaukultur von alleine entsteht. Es gilt, unsere Städte zu entwickeln und weiterzubauen, jede Epoche hat in der Vergangenheit ihren Beitrag dazu geleistet und auch unsere wird sich dieser Anforderung stellen können.

Edda Kurz, Vorstandsmitglied

 

Archivbeitrag vom 7. November 2016