17. Dezember 2012

Nationalpark und Heimat

Unter dem durchaus provokativ gemeinten Thema fand am 9. November 2012 der jährliche Erfahrungsaustausch der Landschaftsarchitekten und Stadtplaner im neuen Zentrum Baukultur in Mainz statt.

Unter dem durchaus provokativ gemeinten Thema fand am 9. November 2012 der jährliche Erfahrungsaustausch der Landschaftsarchitekten und Stadtplaner im neuen Zentrum Baukultur in Mainz statt.

Leider nur 30 Kolleginnen und Kollegen fanden sich ein, obwohl es sich doch nach Meinung der Veranstalter, der Architektenkammer Rheinland-Pfalz, um ein wichtiges politisches und fachliches Thema zur Regionalentwicklung und Zukunftsgesellschaft im demografischen Wandel handelt. Vielleicht war es im Vorfeld nicht genau genug vermittelt worden, meldeten sich doch Kolleginnen und Kollegen beider Fachrichtungen mit dem Hinweis darauf ab, dass Nationalpark nicht ihr individueller fachlicher Belang sei.

Nun denn, genau dazu hatten wir die Referenten vorab verpflichtet, die Interdisziplinarität und das umfängliche Aufgabenspektrum der Nationalparkidee vorzustellen. Wir wollten uns über die verschiedenen Modelle unterrichten lassen, die philosophische Frage nach den Grenzen der Wildnis stellen, Identifikation und Heimatbindung der einheimischen Bevölkerung hinterfragen und vor allem die die ökonomischen und technisch-konstruktiven Erfordernisse und Wechselwirkungen kennenlernen.

Prof. Kai Tobias von der Universität Kaiserslautern, ein ausgewiesener Experte der Naturschutzinstrumente und -politiken sowie Mitglied einer Evaluierungskommission für sämtliche Nationalparke in Deutschland, führte dann auch ganz in diesem Tenor in die Veranstaltung ein. Bereits seine Überschrift beinhaltete konkret die „Möglichkeiten und Perspektiven für die Mitglieder der Architektenkammer Rheinland-Pfalz“! Er schlug den Bogen vom Yellowstone Nationalpark (USA), der 1872 vor allem „zur Freude der Menschen“ eingerichtet worden sei, hin zu den heutigen Entwicklungszielen in Deutschland, die frühestens in 30 Jahren wirksam werden würden. „Natur Natur sein zu lassen“ ist sein Petitum gewesen und den Nationalpark als Wildnisschutz zu verstehen, der durchaus zwischen 30 und 3000 Menschen Arbeit und Brot geben könne. Dass dabei tatsächlich erhebliche Aussichten auf Planungs- und Bauaufgaben rund um die Parkregion bestehen, dass Infrastrukturen, ÖPNV, Ver- und Entsorgungsanlagen, spezifische Gebäude usw. zu errichten seien, zeigte er anhand vieler Beispiele und Adressen. Nicht zuletzt in den entleerten Regionen eines Flächenlandes wie Rheinland-Pfalz bedürften ganze Dörfer und viele Häuser neue Lösungen.

Anschließend stellte Dr. Harald Egidi vom Umweltministerium in einem kurzen Statement die politische Motivation vor, das Naturerbe zu schützen. Sie sei Bestandteil der nationalen Biodiversitätsstrategie, welche - eingebettet in der UN-Biodiversitätsstrategie - internationale Verpflichtung geworden sei. Gleichwohl wolle die Landesregierung das Projekt nur im Einvernehmen mit der vor Ort lebenden Bevölkerung verwirklichen.

Walter Kemkes, Geschäftsführer des Biosphärenreservats Bliesgau und langjähriger Leiter des Nationalparks Hainich bestätigte aus der Praxis in vielen Punkten die theoretisch-wissenschaftlichen Ausführungen von Prof. Tobias. Wildnis in Deutschland findet wohl eher im Kleinen oder ganz Kleinen statt, was mit dem Hinweis auf die akribische Käferdokumentation von mehr als 1.000 Arten herauszuhören war. Ansonsten genügt bereits die geografische Nähe mit naturnahem Image als weicher Standortfaktor, um interessierte Gewerbetreibende für eine Ansiedlung in unmittelbarer Nachbarschaft zu gewinnen.

Landrat Dr. Matthias Schneider aus Birkenfeld stellte - trotz oder wegen seiner politischen Couleur und forstwissenschaftlichen Ausbildung - die tatsächlichen politisch-strategischen Hintergründe der Nationalparkidee in Rheinland-Pfalz vor. Er wurde eloquent unterstützt von Claudia Jörg, Moderatorin der regionalen Bürgerinitiative Engagierte Bürger, die den Prozess in den Dörfern und der Region befördert. Für den verantwortlichen Landrat stehen als erste Priorität ganz klar der Wandel und die Veränderungspflicht im Vordergrund. Wirtschaftliche und demografische Entwicklung, die militärische und die zivile Konversion sind dramatische Fakten, die zu ganz neuen Lösungen zwingen. Da kommt die Nationalparkidee gerade recht. Die Bevölkerungsabwanderung wird nicht zu vermeiden sein; man rechne in den kommenden Jahrzehnten mit einer Verlust von 40 Prozent. Aber die Dörfer und die Gebäude um den Nationalpark herum müssen neu definiert werden. Prof. Tobias hatte bereits am Morgen von thematischen Tennis-, Golf- und Reiterdörfern berichtet sowie Touristenmodelle der dritten Generation und Familienfreundlichkeit aus der Toskana, aus Graubünden und anderswo vorgestellt. Landrat Dr. Schneider sieht den Schwerpunkt in der Schaffung energieoptimierter Häuser und Siedlungen, in denen die einheimischen Bürger die Utopie einer Zukunftsgesellschaft diskutieren und über die technisch-ökonomischen sowie soziokulturellen Alternativen entscheiden. Es müsse ein mentaler Ruck durch die Bevölkerung gehen, sagte Landrat Schneider, der einen Wandel in den Köpfen notwendig mache, bekräftigte auch Claudia Jörg aus Bürgersicht.

Warum die Begeisterung für einen Nationalpark da und dort im Lande sich in ganz engen Grenzen hält, ja eine Ausweisung heftigst bekämpft wird, blieb zunächst fraglich, wo doch alles so optimal erscheint.

Findige Architekten und Stadtplaner erkannten in der anschließenden Diskussion dennoch gleich die Chancen und baukulturellen Herausforderungen. Es wurden neue Architekturen und Haustypen erörtert, die in beispielhafter Weise repräsentativ für die Nationalparkidee in Rheinland-Pfalz werden könnten. Ob allerdings die natürlichen und anthropogenen Klimaveränderungen auch in 50 oder 100 Jahren noch die heutige Nationalparkidee tragen, blieb offen.

„Natur Natur sein lassen“ wurde leider nicht konsequent zu Ende diskutiert. Nationalparke werden eher als Überschrift für den Imagewandel einer Region und als soziokultureller Impuls für die neue Inwertsetzung der alten Heimat instrumentalisiert.

Das allein sind zwar schon sehr gute Ziele! Über die Grenzen der Wildnis allerdings wird dabei nicht diskutiert. Große Raubtiere wie der Wolf und der Luchs kamen nur am Rande vor, der Problembär schon gar nicht. Aber das scheint das große Versäumnis zu werden. Es muss ja nicht der Bär sein, aber über die Gesetze der Natur zu debattieren, über esoterische Natursehnsucht in Jahrhunderte alter Kulturlandschaft zu philosophieren, über den ethischen Auftrag und die Grenzen der verantwortlichen Naturbehandlung in der Land- und Forstwirtschaft, in der Tierzucht und im - ja auch - im vernünftigen Artenschutz, in Medizin, Pharmazie und Gentechnologie öffentlich zu diskutieren: Das ist die tatsächliche große Chance der Nationalparkidee für die Zukunftsgesellschaft in Rheinland-Pfalz.

Hermann-Josef Ehrenberg, Landschaftsarchitekt, Vorstandsmitglied