18. Oktober 2013

Iglu im Rheintal?

In der November-Ausgabe 2013 des Deutschen Architektenblattes appelliert Vorstandsmitglied Gerlinde Wolf für regionaltypisches Bauen

Stellen Sie sich vor, Sie wandern auf dem Rheinsteig im Mittelrheintal und entdecken zwischen den Weinbergen einen Iglu! Sie werden schmunzeln über diesen Gag und irgendeine Werbekampagne dahinter wittern. Doch so lächerlich diese Übertreibung ist, so traurig ist die Wirklichkeit. Spaziert man durch unsere Neubaugebiete, so entdeckt man die unterschiedlichsten Exoten. Da steht die toskanische Villa neben dem Schwarzwaldhaus, griechische Säulen zieren ein kleines Einfamilienhaus, das Niedersachsenhaus konkurriert mit dem aus dem bayerischen Vorgebirge. All diese Gebäudetypen haben ihre Berechtigung, sie sind Ausdruck unserer Gesellschaft und der unterschiedlichen Regionen. Aber sollen sie einen Wettstreit ausführen? Gehört nicht jedes dieser Häuser in seinen ihm eigenen Kontext?

Merkmale des regionalen Bauens
Unsere Häuser sind aus verschiedenen Ansprüchen entstanden. Schutz vor der Witterung war und ist wohl der Wichtigste, Raum zum Arbeiten, Lernen, Spielen, für gesellschaftliche Ereignisse, zum Tanzen, Essen oder Beten kommen dazu, um nur einige Beispiele zu nennen. Schutz vor Witterung wird durch den Baukörper mit seinem Dach erreicht, Schutz vor Feinden oftmals durch die Anordnung der Häuser im Dorf, beispielsweise eine geschlossene Hofbebauung und einer zur Straße hin geschlossenen Fassade.

Ursprünglich wurden die Gebäude aus dem Material der Umgebung gebaut, dies war in ausreichender Menge vorhanden und damit kostengünstig. Holz, Kalkstein, Sandstein, Klinker, Schiefer oder Reet prägten ihren Charakter. Gemäß Witterung und Klima ergaben sich sinnvolle Haus- und Dachformen wie das tief heruntergezogene Dach beim Schwarzwaldhaus oder das Flachdach als zusätzlicher geschützter Außenraum in südlichen Ländern.

Dazu kommen regionaltypische Fensterformen mit unterschiedlichen Größen, Proportionen und Fensterläden. Lange schmale Fenster kennen wir aus Italien und Frankreich, dort oft mit einem „gefalteten“ Laden (Persienne) und einer reich verzierten Brüstung als Absturzsicherung. Fachleute können an all diesen Merkmalen viele Informationen ablesen, aber auch Menschen, die keinen spezifischen Zugang zur Architektur haben, erkennen grundlegende Bauformen, identifizieren sie mit Landschaften und Regionen, sehen in ihnen ein Stück regionaler Authentizität, schätzen sie als Heimat oder Reiseziel.

Regionaltypisch und modern?
Doch sollten wir Häuser und Dörfer deshalb weiterhin so bauen wie früher, Kopien erstellen? Nein, natürlich nicht. Unsere Anforderungen an Gebäude haben sich grundlegend gewandelt: An erster Stelle steht viel Licht, aber auch die Vorstellungen von Wohnkomfort, Lebens- und Arbeitsgewohnheiten haben sich geändert. Weiterhin müssen Vorgaben zur Energieeffizienz erfüllt und auch der demografische Wandel berücksichtigt werden. Wir können aber vor allem im ländlichen Raum, sei es beim Neubau in einer Baulücke oder bei der Sanierung der Leerstände im Dorf, moderne Architektur mit regionaler Baukultur verbinden. Werden im Neubau die oben aufgeführten Punkte, die regionales Bauen ausmachen, in eine moderne Sprache übersetzt, so entsteht etwas Neues, das sich harmonisch in die alte Umgebung einpasst und trotzdem den Ansprüchen der heutigen Zeit gerecht wird.

Gute Beispiele für zeitgemäßes und regionales Bauen gibt es bereits. Mehrere Initiativen der Architektenkammer zeigen dies und helfen das allgemeine Bewusstsein dafür zu schärfen. Die Initiative Baukultur Eifel, die von Architekten vor Ort gemeinsam mit dem Eifelkreis Bitburg-Prüm initiiert wurde und im Rahmen des Leader-Programms von der Europäischen Union gefördert wird, informiert über zeitgenössisches und regionaltypisches Bauen und gibt Bürgern und politisch Verantwortlichen Anstöße. Die Initiative wurde als eins von drei Vorzeigeprojekten für die deutschlandweite Initiative „Regionale Baukultur - Identität und Qualität“ der Bundesarchitektenkammer und dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ausgewählt. Am 5. November lädt die Kammer zur Fachtagung nach Bitburg ein, ein Blog dazu ist eingerichtet. Architekten und Bürger, Schüler und Politiker sind aufgerufen, ihre Stimme einzubringen: Wir sind auch auf ihre Intervention neugierig: www.baukultur-blog.de.

Dem Vorbild in der Eifel folgt die Initiative Baukultur im Landkreis Trier. Auch hier kooperiert die Kammergruppe vor Ort mit regionalen Initiativen und Institutionen, um eine möglichst große Öffentlichkeit zu erreichen. In der Pfalz haben die dortigen Architekten gerade die temporäre Planbar 11 in einer leerstehenden Villa organisiert. Ziel war auch hier die Sensibilisierung für das regionale Bauen und die Entwicklung von Ideen und Leitbildern zur nachhaltigen Entwicklung des ländlichen Raums. Die Initiative Baukultur Oberes Mittelrheintal, zu der sich die Architektenkammer mit dem Finanz- und Bauministerium, der Struktur- und Genehmigungsdirektion Nord, der Generaldirektion kulturelles Erbe und dem Zweckverband Welterbe Oberes Mittelrheintal zusammengeschlossen hat, machen zudem auf die Qualitäten und Belange des Weltkulturerbes mit all seinen infrastrukturellen und städtebaulichen Zusammenhängen aufmerksam. All diese Initiativen haben gezeigt: Regionale Baukultur, ins Heute übersetzt, schafft Identität. In einer globalisierten Welt ist das nicht wenig.

  

Archivbeitrag vom 18. Oktober 2013