20. August 2014

Familienfreundliche Quartiere - ein Umdenken ist erforderlich!

Was macht ein familienfreundliches Quartier, eine familienfreundliche Stadt aus? Diesen Fragen geht Gerlinde Wolf, Vorstandsmitglied der Architektenkammer, in der September-Ausgabe 2014 des Deutschen Architektenblattes nach.

Familienfreundlichkeit ist seit einigen Jahren ein viel diskutiertes Thema. Doch was bedeutet Familienfreundlichkeit in der heutigen Zeit? Was macht ein familienfreundliches Quartier aus? Reicht es, wenn ein Spielplatz mit Rutsche und Schaukel vorhanden ist?

Betrachtet man die gängigen Verordnungen, ist dem so. Dem Gesetz ist Genüge getan, wenn bei der Planung oder Neustrukturierung eines Quartiers ein Spielplatz angelegt wird. Die Landesbauordnung regelt seine Größe, die Zuordnung zu den Wohnungen, Einzäunung und Wetterschutz - die Gestaltung des Platzes. Weitere Vorgaben für eine familienfreundliche Umgebung gibt es nicht.

Unsere Lebensvorstellungen und -gewohnheiten haben sich in den vergangenen Jahren stark gewandelt. Bis in die 1990er Jahre zogen junge Familien bevorzugt aufs Land, der Mann war häufig Alleinverdiener, die Frau ausschließlich Hausfrau und Mutter. Inzwischen entscheiden sich immer mehr Eltern für ein Leben in der Stadt. Neben der „klassischen Familie“ existieren vielfältige Varianten: alleinerziehende Mütter und Väter, Patchwork-Familien, Wohngemeinschaften mit Kindern, ... - und heute ist es üblich, dass alle Elternteile arbeiten. Die entscheidende Frage ist also nicht nur: Wie lässt sich ein kinderfreundliches Wohnumfeld schaffen, sondern auch: Wie kann ein Quartier die Vereinbarkeit von Beruf und Familie unterstützen. Der Begriff „Stadt der kurzen Wege“ hat sich in diesem Zusammenhang inzwischen etabliert. Gibt es im Quartier eine Kinderbetreuung, einen Kindergarten, eine Schule sowie Einkaufsmöglichkeiten, erleichtert das berufstätigen Eltern die Organisation des Alltags erheblich.

Darüber hinaus profitieren insbesondere Kinder aufgrund ihrer begrenzten Mobilität von einer hohen Aufenthaltsqualität im unmittelbaren Wohnumfeld. Grün- und Freiflächen mit unterschiedlichen Qualitäten zum Bolzen, Toben, Spielen, Skaten oder als Treffpunkt sollten vorhanden sein. Spielplätze für Kleinkinder sind nur ein Teil, auch größere Kinder benötigen Aufenthaltsorte. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Sicherheit. In den Quartieren sollten der motorisierte Verkehr reduziert und verkehrssichere Bewegungsflächen geschaffen werden. Spiel- und Anwohnerstraßen tragen viel zur Sicherheit bei und ermöglichen es Kindern, sich eigenständig „draußen“ aufzuhalten.

Belebte Quartiere stärken den sozialen Zusammenhalt und diese wiederum die Verbundenheit mit dem Quartier. Cafés, kleine Läden und hohe Freiraumqualitäten tragen dazu bei. Wo soziale Kontakte möglich sind, wo man sich kennt und auskennt, fühlen sich die Bewohner wohl. Es entsteht ein Gemeinschaftsgefühl, das wiederum insbesondere den Kindern und Familien zugutekommt, vom fürsorglichen Auge anderer Erwachsener beim Spielen bis zur konkreten nachbarschaftlichen Hilfe.

Werden die Kinder größer, erweitert sich ihr Bewegungsradius. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wird für Familien die Frage der Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr sowie das Vorhandensein verkehrssicherer Fahrradwege entscheidend. Wie können die Kinder ihre Freunde und Klassenkameraden in anderen Stadtteilen besuchen? Wie kommen sie zum Sportverein, zum Klavier- oder Nachhilfeunterricht? Eltern werden ungemein entlastet, wenn sie nicht ständig der Chauffeur ihrer Kinder sein müssen. Haben sie kleine Kinder, die noch im Kinderwagen liegen, sind sie zudem, ebenso wie Senioren, dankbar für Niederflurbusse, die ihnen das Ein- und Aussteigen erleichtern.

Viele der genannten Aspekte, die zu einem familienfreundlichen Quartier beitragen, sind durch eine proaktive Stadtplanung steuerbar. Es muss kein Zufall sein, wie sich Quartiere entwickeln: Bebauungsstruktur und Infrastruktur bilden die Grundlagen frü anpssungsfähige Strukturen. Viele Städte haben dies erkannt. Insbesondere in Zeiten des demografischen Wandels, in denen Städte immer stärker in Konkurrenz zueinander stehen und um die Gunst der Bevölkerung buhlen, überprüfen viele ihre Familienfreundlichkeit. Oldenburg ist eine davon. Vor einigen Jahren hat der Stadtrat eine detaillierte Analyse der Familienfreundlichkeit der Stadt beschlossen. Daraus ist inzwischen ein detailliertes Handlungskonzept „Familienfreundliche Stadt Oldenburg“ mit konkreten Zielen entstanden. Darin festgeschrieben ist auch die Einbeziehung möglichst aller Akteure in die Planungs- und Entwicklungsprozesse, einschließlich der Bürger. Zum einen haben diese ein sehr genaues Gespür dafür, was in ihrem Quartier fehlt oder stört. Zum anderen ist die Akzeptanz der Bewohner eine Grundvoraussetzung für die Pflege und Erhaltung der durchgeführten Maßnahmen sowie des gesamten Quartiers.

Familienfreundlichkeit ist auch ein Thema der Landesregierung. Am 9. Oktober richtet das Ministerium für Integration, Familie, Kinder, Jugend und Frauen den Familienkongress 2014 im ZDF-Kongresszentrum in Mainz aus. Die Veranstaltung will beleuchten, wie eine familienfreundliche Gesellschaft in Zukunft aussehen kann.

    

Archivbeitrag vom 20. August 2014