20. Juni 2022

„Cultural Creatives“

Vorstandsmitglied Herbert Hofer
Foto: Kirsten Bucher, Frankfurt am Main

Ganzheitliche Nachhaltigkeitskonzepte

In einer im Jahr 2000 veröffentlichten Studie1 beschreiben der Soziologe Paul Henry Ray und die Psychologin Sherry Ruth Anderson, wie eine relativ kleine Anzahl von Menschen einen gesellschaftlichen Wandel herbeiführen können, indem sie tradierte Normen und Wertvorstellungen grundsätzlich hinterfragen und Gegenmodelle entwickeln.

Beim Planen und Bauen braucht es genau das, denn der Bausektor trägt zu Problemen bei, mit denen unsere Gesellschaft heute konfrontiert ist. Daher können Architekt:innen und Architekturstudierende einen wesentlichen Beitrag zu einer notwendigen Veränderung leisten. Holistisch zu denken und Wechselwirkungen mit dem Bestehenden mit einzubeziehen, könnte ein Weg dazu sein. Die Natur und insbesondere der Wald können uns hierbei als Vorlage dienen: Sie zeigen uns, dass ein Organismus, der aus einer Vielzahl von Spezies besteht, gesünder und widerstandsfähiger ist als eine Monokultur. Eine hochkomplexe Struktur lebt durch eine immerwährende Abfolge von Anpassung und Veränderung; indes bedeuten Vereinheitlichung und Gleichförmigkeit zumeist nur Stillstand. Unterschiedlichkeit befruchtet da, wo sie in einem konstruktiven Miteinander Platz hat. Vielfalt fördert flexible Lösungsmöglichkeiten und verzeiht auch Irrwege. Da, wo das Alte oder Übriggebliebene gleichzeitig auch Dünger ist, gibt es keinen Abfall; das Neue baut auf dem Alten auf und nutzt es sinnvoll.

Ganzheitlich denken, nachhaltig bauen – ein wichtiger Grundsatz.

Beispiele hierfür sind das 2226 von Baumschlager Eberle, die Forschungshäuser von Florian Nagler, ZERO Waste – Umbau TRANSA von Insitu, Barbara Buser und das Gesundheitszentrum RoSana von Anna Heringer. Es benötigt viele dieser Pionier:innen und positive Beispiele, die einen grundsätzlichen Wandel althergebrachter Normen und Standards bewirken können.

Die Architektur muss einen ähnlich radikalen Wandel durchlaufen wie die Landwirtschaft mit dem Aufkommen der Permakultur, bei der es darum geht, das Zusammenspiel zwischen verschiedenen Pflanzenarten so zu nutzen, dass jede Spezies die bestmöglichen Bedingungen für ihr Gedeihen vorfindet. In diesem Sinne geht es heute darum, wieder einfacher, wertiger, langfristiger, umfassender, verantwortlicher zu planen und umzusetzen.

Hochschulen und Architektenkammern können diesen Wandel unterstützen, indem sie Freiräume schaffen, in denen Cultural Creatives unterschiedlichste Lösungsansätze entwickeln und vorantreiben können. Damit diese Ansätze fruchten können, ist eine Vereinfachung und ein Wandel baurechtlicher Vorgaben ebenfalls unabdingbar.

1The Cultural Creatives: How 50 Million People are Changing the World