18. Oktober 2021

Biobaustoffe: Tradition | Innovation

Fliegenpilz
Foto: Annette Müller, Mainz

Die dritte Folge der Podcastreihe „Kreislaufwirtschaft“ spannt den Bogen von herkömmlichen ökologischen Baustoffen wie Holz, Lehm, Kalk und Stroh zu neuen Biomaterialien beispielsweise aus Pilzen oder Algen.

          

Klimawandel und Ressourcenknappheit sowie ein anhaltend hoher Bedarf an neuen Baustoffen befördern die Suche nach ökologisch nachhaltigen Materialien. Welchen Beitrag Tradition und Innovation für eine kreislauffähige Material­wirtschaft am Bau leisten, darüber sprachen als Gäste Dr. Ursula Kleefisch-Jobst und Professor Sven Pfeiffer mit Kammervorstand Herbert Hofer. Das Gespräch moderierte Annette Müller, Pressesprecherin der Kammer.

Dr. Ursula Kleefisch-Jobst ist Generalkuratorin von Baukunst NRW und Kuratorin der Fritz und Trude Fortmann-Stiftung, die die Entwicklung ökologischer und zukunftsfähiger Baustoffe und Konstruktionsweisen fördert. Prof. Sven Pfeiffer arbeitet als Architekt in Berlin und hat die Professur für Digitales Entwerfen, Planen und Bauen an der Hochschule Bochum inne. Zudem forscht er gemeinsam mit der Berliner Biotechnologin und Künstlerin Vera Meyer zur baulichen Anwendung von Baustoffen aus Pilzen und Pflanzen. Herbert Hofer arbeitet als freier Architekt in Trier. Sein Interesse gilt dem Lehm und weiteren traditionellen Biobaustoffen und deren Potenzial.

Der Sand wird knapp. Sand, aus dem Beton und Glas hergestellt werden. Wer hätte sich das vor wenigen Jahren vorstellen können? Und über welche Baustoffe verfügen wir eigentlich, die uns in Fülle zur Verfügung stehen? Dies wollten auch die Fritz und Trude Fortmann-Stiftung wissen. Auf der Suche nach Materialien, die reichlich vorhanden, bislang aber nicht oder kaum genutzt werden, startete sie eine Ausschreibung. Die eingereichten Ideen für Stoffe, die zu Biobaumateria­lien verarbeitet werden könnten, reichten von Algen und Salz über Pferdemist bis hin zu Flusen, berichtete Dr. Ursula Kleefisch-Jobst.

Wir haben erst angefangen zu forschen, als wir gesehen haben, dass es knapp wird.
Dr. Ursula Kleefisch-Jobst, Gelsenkirchen

Aber auch zum Einsatz traditioneller Biobaustoffe wie Lehm und Stroh wird reichlich geforscht. Es geht vor allem darum, diese für den Arbeitsalltag auf der Baustelle fit zu machen, erklärte Herbert Hofer und verwies auf den Lehmexperten Martin Rauch aus Vorarlberg. Rauch fertigt mit einer eigens entwickelten Maschine Stampflehmelemente. Produzierte Plattenwerkstoffe können mittlerweile sogar im Brandschutz eingesetzt werden, präzisierte Hofer. Ein weiteres Vorzeigeprojekt gebe es in Italien: Hier bauten Architekten ganze Lehmhäuser mithilfe des 3D-Drucks. Hofer resümierte: „Ich glaube nicht, dass uns ein Material die Rettung verschaffen wird. Wir sollten hier vielmehr auf die Vielfalt setzen.“ So sieht Hofer eine Lösung etwa darin, anbaubare Materialien wie Hanf mit Materialien aus der Erde zu kombinieren und diese mit neuen Technologien aufzubereiten.

Ein Beispiel aus dieser Vielfalt sind die Pilze, mit denen sich Prof. Pfeiffer beschäftigt. Zuletzt stellte er im Metzlerpark in Frankfurt am Main einen begehbaren Pavillon aus dem ökologischen Baustoff aus. Eingeführt in das Reich der Pilze habe ihn Vera Meyer. Wenn Sven Pfeiffer über Pilze spricht, dann kommt er nicht umhin, von diesen zu schwärmen: „Pilze übernehmen in der Natur die Funktion einer Müllabfuhr. Da sie nicht wie die Pflanzen Photosynthese betreiben, müssen sie sich anders ernähren. Und dies machen sie, indem sie gelöste organische Substanzen aus der Umgebung aufnehmen.“ Pfeiffer weiter: „Ohne die Pilze würden wir in einem riesigen Meer aus Holz und Blättern untergehen.“
Was aus bautechnischer Sicht für den Pilz spricht, ist so einiges: Pilze sind biologisch abbaubar, sie verbrauchen bei der Herstellung keine Energie, und sie haben sich als teilweise feuerabweisend und schallabsorbierend erwiesen, ein richtiger „Universalbaustoff“ eben.

Auch die Fritz und Trude Fortmann-Stiftung fördert ein Projekt mit Pilzen. Dr. Kleefisch-Jobst findet es dabei besonders spannend, mit lebendem Material zu arbeiten. Dies sei schließlich eine sehr alte Vorstellung in der Architektur, beispielsweise mit Bäumen, die noch im Wachstum begriffen sind, zu bauen. Hier stellen sich für die Kuratorin die Fragen: Wie kann man das Wachsen der Pflanzen für das Bauwerk einsetzen? Und kann man es irgendwann stoppen, um dann ein finales Baumaterial zu erhalten? Eine Vision, die bei Prof. Pfeiffer auf offene Ohren stößt. Nur der spannt die Flügel noch etwas weiter und stellt sich gleich einen Innenraum vor, „der auf seine Umwelt reagiert und sich vielleicht sogar selbst heilen kann.“

Das Interesse der Industrie an Verbundstoffen aus Pilzen und Pflanzen ist sehr groß.
Prof. Sven Pfeiffer, Bochum

Eines ist auf jeden Fall klar: der Pilz kann nichts alleine. Er braucht immer Nahrung, die er zersetzen kann. Zudem sind Pilze die einzigen Organismen, die Lignocellulose abbauen können, fuhr Professor Pfeiffer fort. Häufig würden Abfallprodukte aus der Agrarwirtschaft wie zerschredderte Buchen oder Birken als Trägermaterial verwendet. Man könne den Pilz aber auch auf Abfällen aus der Bauwirtschaft wachsen lassen.

Das Trägermaterial spielt auch in den Projekten der Fritz und Trude Fortmann-Stiftung eine Rolle. So berichtete Dr. Ursula Kleefisch-Jobst von einem Vorhaben, bei dem das aus den Panzern von Meerestieren oder Insekten gewonnene Chitosan auf Weidengeflecht aufgebracht werden soll.

Dass man sich zugleich die Eigenschaften von verschiedenen Stoffen zu Nutze macht, ist nicht neu. Schließlich wird auch im Lehmbau von alters her mit Zusätzen wie Stroh, Kuhdung oder Kalk gearbeitet, warf Herbert Hofer ein. Professor Pfeiffer griff das Beispiele auf und mutmaßte, dass die Stabilisierung, die der Lehm brauche, möglicherweise auch der Pilz liefern könne. Grundsätzlich könne der Pilz, so Pfeiffer, eine „sehr, sehr innige Verbindung“ mit anderen Werkstoffen eingehen, da dieser mit seinen Hyphen in das andere Material hineinwachse.

Ich glaube nicht, dass uns ein Material die Rettung verschaffen wird. Wir sollten eher auf die Vielfalt setzen.
Herbert Hofer, Trier

Bleibt also die Frage nach der ökologischen Qualität solcher Komposite. „Wenn alle Stoffe biobasiert sind, dann können sie eher wieder zersetzt werden“, sagte Kleefisch-Jobst. Dennoch sei es auch bei Biostoffen ratsam, die Möglichkeiten einer späteren Trennung von Beginn an mitzudenken, ergänzte Hofer. Hier käme es besonders auf die Fügetechniken an. Ein gutes Beispiel sei etwa der Lehmbau L’Orangérie in Lyon. Die tragende Innenstruktur wurde hier aus Holz umgesetzt, die Außenwände bestehen aus großformatigen, vorgefertigten Lehmbausteinen. Beide Elemente seien nicht miteinander verbunden, sie stützten sich aber gegenseitig.

Doch zurück zu den Pilzen. Ein weiterer und wichtiger Aspekt der nachwachsenden, biologischen Materialien ist deren robotische Verarbeitung. Bei dieser geht es vor allem darum, das Materialverhalten zu kalibrieren. Wie kann man also Eigenschaften unterschiedlicher Pilze erzeugen oder fördern? Und welche Rolle spielt dabei die Gentechnik? Professor Pfeiffer will auch diese Möglichkeiten nutzen. So könne man mit deren Hilfe speziell wasserabweisendes oder schwer brennbares Material entwickeln. Gleichzeitig werfe eine solche Verarbeitung natürlich Fragen der Akzeptanz auf, so dass begleitend eine gesellschaftliche Diskussion mit den Bürgerinnen und Bürgern geführt werden müsse. Daneben sei der Wille zum Experimentieren wichtig. In diesem Sinne sieht Sven Pfeiffer auch den Frankfurter Pavillon als Experiment, bei dem es insbesondere darum ging, das Material einmal über einen längeren Zeitraum der Witterung auszusetzen – und dies mit vollem Erfolg. „Die Pilze haben trotz Starkregens sehr gut durchgehalten“, erzählt er. Zudem habe man sehr viel positiven Zuspruch von den Besucherinnen und Besuchern erhalten. Die haptisch sehr angenehmen Pilzpaneele hätten gerade bei Kindern starke emotionale Reaktionen ausgelöst.

Das ästhetische Moment spiele auch bei den Projekten der Stiftung eine große Rolle, warf Dr. Kleefisch-Jobst ein. So gingen viele Einreichungen auf Künstler oder Kunsthochschulen zurück, die sich ganz explizit auch mit solchen Materialfragen beschäftigten. Daher werde auch erforscht, wie Roboter dazu befähigt werden können, dreidimensionale Formen zu weben.

Vom Experiment zur Serienreife ist es jedoch immer ein langer Weg, weshalb tragfähige Projekte von der Fritz und Trude Fortmann-Stiftung eine Anschlussförderung erhalten. Schließlich dränge die Zeit, da man erst angefangen habe zu forschen, als herkömmliche Materialien knapp wurden. Was fehle, sei Vernetzung. Es werde in Deutschland an den Universitäten und in den Forschungseinrichtungen viel, aber unverbunden geforscht. Mit dem Wissen der anderen könnten jedoch schneller Wissenssprünge gemacht werden. Auch Sven Pfeiffer forderte mehr Schnittstellen zwischen Grundlagen- und angewandter Forschung sowie zum „science citizen“. Das Interesse der Industrie an Materialien aus Pilzen und Pflanzen sei sehr groß, dennoch befinde man sich noch weitgehend in der Grundlagenforschung. Pfeiffer: „In zehn Jahren können wir optimistisch gesehen über erste Bauwerke sprechen.“ Herbert Hofer wünschte sich abschließend, dass biobasiert hält, was es verspricht, und sich die neuen Materialien tatsächlich wieder in den Kreislauf überführen lassen.

1985 – 1988 Forschungsprojekt an der Bibliotheca Hertziana in Rom, 1989 – 1990 Mitarbeiterin am Landesdenkmalamt in Berlin, seit 1990 freie Architekturkritikerin, 2001-2007 Kuratorin am Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt am Main, 2008-2019 Geschäftsführende Kuratorin am M:AI, Museum für Architektur und Ingenieurkunst Nordrhein-Westfalen, seit 2020 Generalkuratorin am Museum der Baukultur Nordrhein-Westfalen im Rahmen der neugegründeten Initiative Baukultur Nordrhein-Westfalen; seit 2013 Mitglied im Kuratorium der „Fritz und Trude Fortmann Stiftung für Baukultur und Materialien“.

Er arbeitet als Architekt in Berlin. Sein Fokus in der Forschung, Lehre und der Praxis liegt auf den Potentialen digital gestützter und generativer Methoden für eine nachhaltige Entwurfs- und Baupraxis. 2020 gründete er mit der der Berliner Biotechnologin Vera Meyer das interdisziplinäre ArtSci-Kollektiv MY-CO-X, das zu baulichen Anwendungen biobasierter Werkstoffe forscht. Sven Pfeiffer hat Architektur in Hamburg, Miami und Frankfurt studiert. Er war von 2015-2017 Leiter des Fachgebietes für Digitale Architekturproduktion an der TU Berlin und von 2017-2019 Gastprofessor für Digitales und Experimentelles Entwerfen an der Universität der Künste Berlin.

Sein besonderes Interesse zielt auf den Lehm und andere traditionelle Baustoffe, deren Potenzial für eine mindestens CO2-sensible, wenn nicht zirkuläre Nutzung unter dem Eindruck der Ressourcenknappheit am Bau und des Klimawandels langsam wieder in den Blick kommt.