19. September 2023

Drei gelungene Beispiele für „Nicht wegwerfen!“

Mainzer Architekturquartett Kammergruppe Mainz-Bingen
v.l.n.r.: Carina Schmidt, Redakteurin Mainzer Allgemeine Zeitung, Mainzer Künstlerin Christiane Schauder, Barbara Ettinger-Brinckmann, Architektin BDA, Kassel, 2013–2021 Präsidentin Bundesarchitektenkammer, Anna Scheuermann, Architektin, Kuratorin/Autorin, Offenbach am Main
Foto: Kristina Schäfer, Mainz

Das "Mainzer Architekturquartett" diskutierte drei beispielhafte Umbauprojekte der Stadt am 12. September in den Mainzer Stadtwerken. Veranstalterin war die Kammergruppe Mainz-Bingen der Architektenkammer Rheinland-Pfalz.

Attraktives Wohnen im ehemaligen Bettenhaus eines Krankenhauses? Zeitgemäßes Arbeiten in einer einstigen JVA? Dass dies möglich ist zeigten die zur Diskussion stehenden Mainzer Umbauprojekte bei der sechsten Auflage des Architekturquartetts der Kammergruppe 7 Stadt Mainz und Landkreis Mainz-Bingen.

Das zum Wohnen neu genutzte ehemalige Bettenhaus im Wohnquartier Hildegardis von mann + schneberger architekten bda und die Revitalisierung der JVA zum Büro- und Verwaltungsstandort im Isenburg Karree, LBB Koblenz mit der zarinfar GmbH, standen zur Diskussion. Der Veranstaltungsort, die Aufstockung und Umbaumaßnahme Mainzer Stadtwerke von KISSLER + EFFGEN Architekten BDA, vervollständigte die Liste der drei beispielhaften Projekte zum Thema Umbau-Kultur.

Tobias Brosze, Technischer Vorstand und stellvertretender Vorstandsvorsitzender, begrüßte von Seiten des Hausherrn Mainzer Stadtwerke mit einem Statement zum Gebäudeenergiegesetz. Die Aufgabe für das eigene Unternehmen sei herausfordernd aber mit Kreativität lösbar, so Brosze. Er freute sich mit dem eigenen Haus ein Beispiel für Umbau-Kultur geben zu können.

Mit der Betrachtung des Isenburg Karree startete das Architekturquartett – von  Beginn an einig darüber, dass alle drei Projekte gelungen seien – mit Barbara Ettinger-Brinckmann, Architektin BDA, Kassel, 2013–2021 Präsidentin Bundesarchitektenkammer, Anna Scheuermann, Architektin, Kuratorin/Autorin, Offenbach am Main, Carina Schmidt, Redakteurin Mainzer Allgemeine Zeitung sowie Künstlerin Christiane Schauder die Diskussion. Schmidt meinte, nur ein Verwaltungsgebäude wäre an einem Ort wie diesem als Nutzungsänderung möglich gewesen. Da das Gebäude „mit dem Schutzmantel Denkmalschutz“ gegen Abriss geschützt gewesen sei, habe sich hier die Frage nach dem „wegwerfen“ nicht gestellt, gab Ettinger-Brinckmann zu bedenken. „Da Kleid spiegelt aber nicht wieder, was es war“, so die Kasseler Architektin weiter. Ob das Sichtbarmachen der Geschichte des Ortes bei einer ehemaligen JVA sinnfällig sei darüber herrschte keine Einigkeit.

Dem ehemaligen Bettenhaus aus den 1970er Jahren im heutigen Wohnquartier Hildegardis drohte hingegen der Abriss. Positiv, dass dies verhindert werden konnte, so die Runde, die durchweg den Erhalt und die Umnutzung des elfgeschossigen Baus lobte. Unterschiedliche Wohnungstypen – wenn auch von außen nicht ablesbar – ermöglichten einen Mix in der Mieterstruktur, die Freiflächen seien ansprechend gestaltet und die Erschließungszonen im Innern großzügig, hell und freundlich. Einzig die fehlende Infrastruktur für die 400 neuen Wohnungen im Quartier wurde bemängelt. Projekte würden städteplanerisch häufig isoliert betrachtet und die Wirkung ins Viertel dabei oft vernachlässigt, kritisierte Anna Scheuermann.

Das Verwaltungshochhaus der Stadtwerke (Architekt Rainer Schell von 1961) sei kein geeignetes Projekt für die Diskussion „Nicht wegwerfen!“ wertete Ettinger-Brinckmann. Die Entscheidung zum Erhalt des Gebäudes sei aus ökonomischen Gründen 2004 getroffen worden und zudem habe sich die Nutzung nicht verändert. „Man hätte aus dem Altbau mehr rausholen können“ resümierte Scheuermann, aber „das Aufsatteln ist eine positive Eigenart des Hauses“, hob Ettinger-Brinckmann hervor. Der Konferenzraum im obersten Geschoss mit einem atemberaubenden Blick über Mainz und die Region wäre tatsächlich alleine schon Magnet für die rund 80 Gäste des Mainzer Architekturquartetts gewesen.

Fazit der Expertinnenrunde war, dass der Ressourcenmangel und die Klimakrise dazu zwinge über jedes einzelne Bauprojekt im Sinne der Bauwende intensiv nachzudenken. Immer wenn Bestand involviert sei werde es zwar kompliziert – entgegen des sich stetig haltenden Vorurteils – jedoch nicht teurer im Vergleich zum Neubau. Das Nachdenken über den Erhalt jedes einzelnen – noch so ungeliebten – Gebäudeteils und das Entwickeln nachhaltiger Nutzungskonzepte sollte immer am Anfang stehen, da war sich das Podium einig.

Die Veranstaltungsreihe wird finanziert über ein Sonderbudget für die Öffentlichkeitsarbeit der Kammergruppen der Architektenkammer Rheinland-Pfalz, mit freundlicher Unterstützung des WERK.BUND Rheinland-Pfalz.