16. Januar 2013

Optimal ist nicht immer gut

Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Stein äußert sich in der Februar-Ausgabe des DAB über die Energieeinsparmaßnahmen beim Bauen.

Über sieben Milliarden Menschen leben derzeit auf der Erde - 1 bis 1,5 Milliarden von ihnen verbrauchen 99 Prozent der insgesamt benötigten Energie. Die fossilen Energien werden knapper, die Förderung immer aufwändiger, risikoreicher und teurer. Große Eingriffe in die Natur und das Klima werden schon heute hingenommen. Offensichtlich ist, dass diese 1,5 Milliarden - wir - Energien und Ressourcen sparsamer einsetzen und effizienter nutzen müssen. Unser gewohnter Lebensstandard wird sich verändern. Für den Bereich der Gebäudeplanung werden dazu verschiedene Ansätze diskutiert: Es gibt die Philosophie einer bis an die Grenzen des Möglichen gedämmten und abgedichteten Gebäudehülle. Andere beschäftigen sich mit der Optimierung der Gebäudetechnik oder der Erzeugung regenerativer Energien. Die Krux ist, alle haben irgendwo Recht.

Wer Energie sparen möchte, sollte sich zunächst verdeutlichen, wie und wo Energie verbraucht wird: In Deutschland entfallen etwa 71 Prozent auf Industrie, Verkehr, Gewerbe, Handel und Dienstleistungen. Die Haushalte verbrauchen ungefähr 29 Prozent, von denen wiederum 80-85 Prozent für Raumwärme und Warmwasser und 15-20 Prozent auf mechanische Energie, Prozesswärme und Beleuchtung entfallen. Der Verbrauch für Beleuchtung ist mit unter zwei Prozent dabei bemerkenswert gering. So gering, dass man sich fragt, ob das Glühbirnenverbot vernünftig oder eher das Ergebnis eines politischen Aktionismus ist.

Entsprechend der benötigten Energie für die Raumwärme, müssen wir Architekten uns jedoch ernsthafte Gedanken um die Gebäudehülle und deren Wärmeverluste machen. Eine Reduktion wird durch eine gute Wärmedämmung und eine möglichst luftdichten Gebäudehülle, komplettiert durch den Einbau einer kontrollierten Lüftungsanlage, erreicht. Charmanter Nebeneffekt einer solchen Bauweise: Wärmebrücken, Kondenswasser und damit Bauschäden werden vermieden. Zudem macht die Nutzung von Solarenergie, Erd- oder Luftwärme, sowie Holz- und Pelletsöfen, in Kombination mit einer ausgeklügelten Regeltechnik und Gebäudesteuerung auf Wunsch aus jedem Haus ein kleines Kraftwerk.

Das Optimum ist noch zu wenig
Doch trotz dieser vielen Möglichkeiten funktioniert die Energiewende im Baubestand nicht so, wie gewünscht. Die Sanierungsquoten bleiben deulich hinter den Erwartungen zurück. Vor allem private Hausbesitzer, denen etwa drei Viertel des Gesamtgebäudestandes gehören, sind zögerlich oder verweigern sich. Wie es zu dieser Skepsis kommt, kann nur vermutet werden. Möglicherweise tragen die langfristige Refinanzierung verbunden mit einer Unsicherheit über die Nachhaltigkeit des rechtlichen Rahmens und geargwöhnte Folgeschäden zu einer Haltung bei, die mit „uns hält das noch aus, wir machen nichts“ zusammen gefasst werden kann.

Deutliche Parallelen gibt es zur Fahrzeugentwicklung in der Automobilindustrie. Auch hier werden Autos mit immer mehr technischen Finessen gebaut. Autos die alles können sollen, aber oft so groß sind, dass sie nicht mehr in Parkhäuser passen und ausgestattet mit 250-PS-Spritsparmotoren im Berufsverkehrsstau stehen. Ganz zu schweigen davon, dass sie dabei für viele unbezahlbar geworden sind.

Auch beim Sanieren unserer Häuser fordern wir das Optimum, erreichen damit aber den Stillstand. Wir errichten Hausmaschinen, die energetisch betrachtet nahezu perfekt sind. Dennoch sind wir nicht zufrieden. Wir wollen mehr. Wir wünschen uns Gemütlichkeit, Heimeligkeit, Sinnlichkeit und Häuser, welche auch ohne Ingenieurstudium zu bedienen sind. Wer von uns schwärmt nicht vom Kaminfeuer, dieser einmaligen Wärme, die ohne aufwändige Regelung das Zimmer in ein gemütliches Licht taucht. Eine Wärme, bei der Ursache und Wirkung in einem sichtbaren und erfahrbaren Zusammenhang stehen.

Aber nicht nur das Wie, sondern auch das Was ist zu hinterfragen. Ist es immer richtig, das gesamte Haus zu sanieren? Kann man der 70-jährigen Witwe, die ein Haus mit 200 Quadratmeter Wohnfläche besitzt, von denen sie nur 50 Quadratmeter beheizt, wirklich raten, sie möge ihr ganzes Haus energetisch sanieren? Benötigt werden Konzepte, die über das Bauen hinaus gehen und den Menschen in den Mittelpunkt stellen.

Flexibilität schaffen
Zudem sind die politischen Vorgaben zu einseitig auf die Bautechnik ausgerichtet. Sie geben deduktiv das Ergebnis vor. Seit Newton und Kant wissen wir jedoch, dass Erkenntnis induktiv entsteht. Also vom überschaubaren Kleinen hin zum großen Ganzen. Die kleine Einheit ist der Bewohner. Dementsprechend sollte das Ziel auch die energetisch optimierte Lebensweise sein, die das Wohnen einschließt. Dies ist ein gesellschaftlicher Ansatz, der weit über bautechnische Vorschriften hinaus geht.

Die Schweizer Idee der 2000 Watt-Gesellschaft ist ein solcher Ansatz. Der heutige Pro-Kopf-Energieverbrauch von 5500 Watt pro Stunde, soll auf 2000 Watt reduziert werden - dem heutigen Weltdurchschnitt. Diese Einsparung muss nicht einseitig beim Wohnen erzielt werden, jeder kann nach seinen individuellen Möglichkeiten und Prioritäten bei der Mobilität, der Ernährung, beim Konsum oder eben auch beim Wohnen sparen. Wo man seinen Schwerpunkt setzt, bleibt jedem Bürger, im vorgegebenen Rahmen, selbst überlassen.

Dieser Ansatz gefällt mir sehr gut. Es ist ein Ansatz, in dessen Mittelpunkt einerseits der aufgeklärte und frei denkende Mensch steht und andererseits der Fokus auf vernünftiges Handeln und weniger auf die Perfektionierung von Prozessen gelegt wird. So kann mit weniger Vorschriften und Aufwand mehr Energie gespart werden.

  

Archivbeitrag vom 16.01.2013