19. Februar 2010

Architektur und bebaute Heimat

Am 17. Februar 2010 fand im Erbacher Hof in Mainz der Aschermittwoch der Künstler und Publizisten zum Thema „Architektur gebaute Heimat“ statt. Rund 300 Gäste waren gekommen um der Podiumsdiskussion mit Professor Arno Lederer aus Stuttgart und Professor Ulrich Hahn aus Aachen zu folgen. Moderiert wurde die Veranstaltung von Reinhard Hübsch vom SWR.

„Man kann Heimat nicht bauen“, zeigte sich Lederer direkt zu Beginn der Diskussion überzeugt. Es gebe bessere und schlechtere Heimaten, aber die Wahrnehmung und Erinnerung an einen Ort sei immer eine Melange aus Dingen, zu denen auch Empfindungen und Erlebnisse gehörten. Hahn stimmte ihm zu: „Architektur ist im besseren Sinne positiver Nährboden für Heimat.“ Wobei Architekten natürlich versuchen müssten einem Ort das zu geben, was er braucht.

Lederer wies darauf hin, dass es immer zwei Bauherren gebe: den, der zahlt und die Öffentlichkeit. Wobei diese mit ihren Interessen oft gegen den eigentlichen Bauherrn arbeite. Entscheidend für Lederer ist immer zuerst die Gestaltung des öffentlichen Raumes, wie es dagegen hinter dem Gebäude aussehe, sei ihm egal. Bauen sei immer ein Spiegel der Gesellschaft! Entsprechend gibt es seiner Meinung nach auch keine Krise der Architektur sondern eine Krise der Gesellschaft. „Es herrscht das Diktat der Ökonomie“, so Lederer.

Dem entspreche der Fluch der Moderne mit seinem Funktionsdenken. Die Moderne habe die Kontinuität der Geschichte unterbrochen, kritisierte Lederer. Aktuell gebe es zwei Strömungen in der Architektur, auf der einen Seite Büros wie Coop Himmelblau und Gehry, auf der anderen Seite Architekten wie Hans Kollhoff. Lederer beschrieb seine Vorstellung einer idealen Weiterentwicklung der Architektur mit einem Staffellauf. Heute werde der Stab jedoch nicht mehr von Läufer zu Läufer weitergegeben, sondern die einen liefen bereits los, bevor sie den Stab erhalten hätten, und der andere laufe los, gebe den Stab aber nicht ab.

Hahn wand ein, dass man nicht vergessen dürfe, dass es sich immer auch um ein Marktverlangen handele. Nach dem Beispiel von Bilbao wollten sich viele Städte ein Gesicht geben, da werde dann auf ein Label wie in der Mode geachtet. Damit sei die Qualitätsdiskussion dann aber auch schon beendet. Lederer nannte es einen Skandal, wenn Gebäude, wie die Elbphilharmonie in Hamburg, für die ursprünglich 75 Millionen Euro Baukosten veranschlagt waren, letztlich 350 Millionen Euro kosteten und der Stadt gleichzeitig das Geld für einen vernünftigen Kindergarten fehle. 

Auch die aktuelle Energie- und Nachhaltigkeitsdiskussion kritisierte Lederer. Sie werde von einer falschen Technikgläubigkeit bestimmt. Man könne sich im Winter auch einen Pullover überziehen. Bei einem Grad weniger Raumtemperatur würden rund 10 Prozent der Heizkosten und Emissionen eingespart. „Nachhaltig ist es auch, wenn ein Gebäude wie der Dom 1000 Jahre steht“, fügte er hinzu. „Unsere Hütten brechen schon nach 20 Jahren zusammen und wir bauen zu kurzfristig, zugeschnitten auf Nutzer, die morgen schon wieder weg sind.“

Hübsch bemerkte, dass sich viele Menschen nach Gebäuden aus dem 19. Jahrhundert sehnten, und fragte: „Sind wir ästhetisch 150 Jahre zurück?“ Hahn stellte klar, dass die Gründerzeitbauten damals von Menschen gebaut worden waren, die einer Gehaltsklasse angehörten, der die meisten Menschen heute gar nicht angehörten. Zudem seien die Grundrisse großzügig, so dass sie auch flexibel genutzt werden könnten. Dazu käme natürlich noch das Atmosphärische, die liebevollen Details.

„Eine große Bedeutung bei der Entstehung von Heimatgefühlen haben Kirchen“, sagte Lederer. Unser Städtebau sei auf die Kirchen ausgerichtet, sie ständen im Mittelpunkt, die Straßen liefen auf sie zu und sie bildeten einen Orientierungspunkt. Wenn sie abgerissen würden, fehle unserem Städtebau die Berechtigung. Die Gesellschaft müsse in der Lage sein die Kirchen zu erhalten, sie sei auf christlichen Werten gebaut.

Ein weiteres Problem sahen die Architekten in der verkürzten Studiendauer. Hahn wies darauf hin, dass in sechs Semestern kein Student so ausgebildet werden könne, dass er anschließend den Beruf des Architekten ausfüllen könne. Die notwendige Reflexion und ein ausreichender Austausch seien nicht mehr möglich. Mit 25 Jahren sollten diese Absolventen der Gesellschaft dann Lösungen anbieten. Das gehe nicht. Zudem hätten sich die Studentenzahlen seit den 70er Jahren mehr als verdoppelt, die Anzahl der Professoren sei dagegen konstant geblieben, bemängelte Lederer. Der Staat ziehe sich seit Jahren aus seinem Bildungsauftrag zurück.

Es gab noch einen weiteren Kritikpunkt an der Architekturausbildung. „Wir erziehen unsere Studenten dazu, alle Corbusiers zu werden“, bemerkte Lederer. Auch ihm sei das nicht fremd. Dabei seien Architekten wie Schauspieler, völlig austauschbar. Sie meinten immer, dass sie es seien, die bauten und entschieden. Viel wichtiger seien aber die Bauherren. Wie Regisseure entschieden laut Lederer in Wirklichkeit sie, welche Architekten ausgesucht würden und damit, welche Architektur entstehe.

Weihbischof Dr. Werner Guballa bei der Predigt im Mainzer Dom. Foto: Bistum Mainz
Die Diskussionsrunde (v.l.): Reinhard Hübsch, Prof. Arno Lederer und Prof. Ulrich Hahn. Foto: Bistum Mainz

Gottesdienst im Mainzer Dom

Vor der Diskussion im Erbacher Hof hatte der Mainzer Weihbischof Dr. Werner Guballa in seiner Predigt im Mainzer Dom das Thema bereits aufgegriffen. Im Gottesdienst mit der Austeilung des Aschenkreuzes sagte er: „Unser Christwerden, das in der Fastenzeit als Weg, der betrachtet und eventuell auch korrigiert werden muss, besonders in den Blick genommen wird, ist Arbeit gegen die Schwerkraft. Es ist die Kraft der Überwindung, das Stehen gegen die naturale Schwerkraft des Dahin-Treiben-Lassens. Architektur ist dies auch, Arbeit gegen die Schwerkraft, um unseren Wohnen unter den Menschen und unserem Wohnen bei Gott Gehalt und Gestalt zu geben. Ein form- und gesichtsloses Dahin-Treiben-Lassen ist menschenunwürdig."

Der Mensch, der ganz und gar satt sei, den nach gar nichts mehr hungere, werde blind und taub, er gewahre nur noch sich selbst. „Auch unserem Bauen muss diese Kunst inne wohnen", sagte er, „dass wir nicht nur die allernotwendigsten Bedürfnisse in einer Form ausdrücken, sondern auch die Schönheit, den Hunger nach Sinn, die Sehnsucht nach Gott Gestalt werden lassen. Eine Kirche, ein Dom ist das bewusste Gegenstück des Turms von Babylon", nahm er eine zentrale Erkenntniss aus der folgenden Diskussion schon vorweg. „Der Wolkenkratzer, der zum Himmel gebaut wird, damit der Mensch sich an die Stelle Gottes setzen kann, wird zu einem einzigen Desaster. Die Menschen fallen aus allen Wolken, verstehen sich nicht mehr, verlieren ihre Gemeinschaft durch den Verlust des inneren Friedens."

    

Archivbeitrag vom 19. Februar 2010