Reformation oder Architektur?

Als der Vorstand im Frühjahr 2012 die Arbeit aufnahm, hatte er es sich zur Aufgabe gemacht, nicht nur die baufachlichen Themen und honorarrechtliche Bedingungen zu bearbeiten, sondern auch und im Besonderen die gesellschaftsspezifischen Hintergründe, die politischen Restriktionen sowie ökologische oder soziale Erfordernisse offen zu thematisieren. Er knüpfte damit an eine Zielstellung an, die bereits in der Klausurtagung 2011 als dringend erforderlich erkannt worden war. Nicht das Zuwarten auf das Ereignis, sondern die vorausschauende und aktive Teilhabe am gesellschaftlichen und fachlichen Diskurs sollte noch deutlicher werden lassen, mit welcher Kompetenz Architekten, Innen- und Landschaftsarchitekten sowie Stadtplaner sowohl auf der Baustelle als auch in der gesellschaftspolitischen Debatte richtungsweisende Akzente setzen und Konflikt- und Problemberatung leisten können.

Es hat sich gezeigt, das Ziel ist ehrgeizig und das Streben schafft nicht nur Freude und Freunde. Aber wir sind davon überzeugt, dass klare und eindeutige Aussagen, fachlich fundiert und kritisch vorgetragen, die eigentliche Kompetenz sowohl in der Kollegenschaft als auch in der Öffentlichkeit erweisen. In jedem Fall ist es eine Strategie, die berufsständische Freiheit und wirtschaftliche Unabhängigkeit beweist, beides maßgebliche Kriterien für ernsthafte Partnerschschaft auf Augenhöhe.

Eines jener gesellschaftsrelevanten Themen ist das Reformationsjubiläum 2017. Bereits 2006 hatte die Evangelische Kirche Deutschlands im Hinblick auf das 500-jährige Jubiläum zum Wettbewerb für innovative Ideen bzgl. Kirchengebäude aufgerufen. Seit 2008 gibt es die sog. Lutherdekade mit jährlich wechselnden Themen der Reformationstheologie und ihrer Politik-, Kultur- und Sozialgeschichte. Ein Aspekt jedoch blieb unbeachtlich, das Thema „Architektur“ fehlte vollständig. Der Kammervorstand hat das strategische Potential dieser Konzeptlücke erkannt und einen eigenständigen Beitrag diskutiert. Zwischenzeitlich haben Vertreterversammlung und Vorstand entsprechende Weichen gestellt. Darüber ist an dieser Stelle schon berichtet worden (10/ 2012); auf der homepage der Architektenkammer kann der geneigte Leser weitere Informationen abholen und den Entwicklungsstand des Projektes nachlesen. Wir haben einen Förderantrag beim Bundesbeauftragten für Kultur und Medien gestellt, der nach zwischenzeitlicher Information positiv entschieden werden wird.

Im März 2014 geht es los. Bis Ende 2015 werden in verschiedenen ganztägigen Vortrags- und Exkursionsveranstaltungen zentrale Elemente der Reformation wie das raumbildende Wort, die Diakonie und Fürsorge, die Bildung und Verantwortung, nicht zuletzt die Religion im öffentlichen Raum im interdisziplinären Dialog und Vortrag thematisiert werden.

Nun mögen sich Kolleginnen und Kollegen fragen, was unser Beruf mit der Religion und im Speziellen mit der Reformation zu tun hat. Die konkrete Bauaufgabe für eine Kirche ist eher selten; die großen Namen wie Rudolf Schwarz und Otto Bartning gehören einer anderen Zeit und Vergabepraxis an. Die Kirchen werden immer leerer, sie werden umgenutzt oder gar abgerissen. Reformation und Architektur gehen vordergründig gar nicht zusammen.

Dennoch, bei genauerem Hinsehen wird deutlich: Reformation hat in Gänze etwas mit Architektur zu tun.

Haben Bildersturm und Predigertum, haben Luther und Calvin die Sichtweise auf Innenräume, die Wahrnehmung von Raum und Stil beeinflusst? Gibt es eine ideelle Linie zwischen der protestantische Askese und dem reduzierten Bauhaus? Werden die calvinistische Denktradition eines Piet Mondrian und der funktionalistische Schönheitsbegriff in der modern anmutenden Architektur eines Gerrit Thomas Rietveld gespiegelt?

 

Die Fragestellung reicht über die Baukunst und das Totalkunstwerk einer de-Stijl-Bewegung hinaus. Für die Architektenschaft geht es um die sozialen und funktionalen Fragen des Bauens und der Stadtentwicklung für die dort lebenden und arbeitenden Menschen. Die Geistes- und Ideengeschichte seit der Reformationszeit spiegelt sich in den baulichen und stadträumlichen Ausformungen bis in die Gegenwart.

Es ist beabsichtigt, die vielfältigen, universellen Wirkungen und Wechselwirkungen der Reformation auf Architektur und Stadtentwicklung bis in die Gegenwart aufzuzeigen und kritisch zu beleuchten. Unsere Debatte ist bei weitem nicht auf die sakrale Baukultur beschränkt, sondern vielmehr noch werden die diakonischen und missionarischen Leistungen in komplexen Krankenhäusern, Schulen und Stiften gespiegelt. Die Architektur für Lesen und Musik, die Fragen nach Bibliotheken und Büchern, nach Raumakustik und privater Hausmusik sind ebenso Themen wie die protestantische Arbeitsethik und die Fragen nach Arbeitsplatz und Gesundheit oder die Leistungsethik und die zeitgenössische Debatte über die Ökonomisierung des Privaten und Kommerzialisierung des öffentlichen Raums.

Zusammenfassend kann gefolgert werden, dass die vielfältigen, universellen Wirkungen und Wechselwirkungen der Reformation auf Architektur und Stadtentwicklung bis in die Gegenwart aufgezeigt und beleuchtet werden können. Die Themen werden in einen interdisziplinären Kontext gestellt, wobei nicht nur Theologen oder Philosophen, sondern in gleichem Maße Soziologen und Historiker, Architekten und andere eingebunden werden.

Der methodische Ansatz wird erstmalig in dieser Themenkonstellation angewendet. Es wird hier ausdrücklich darauf abgehoben, scheinbar konträre Disziplinen zusammenzuführen und zu denken. Der Prozess der Integration, der gemeinsame Diskurs und die Präsentation im Vortrag sind das Ereignis. Das Ergebnis dieses interdisziplinären Ansatzes ist offen.

Die Vortragsveranstaltungen sind öffentlich. Wie auch immer die Ergebnisse sein werden, es handelt sich auch hier um einen strategischen Ansatz zu zeigen, in welch übergreifendem Kontext Architektur und Architektenschaft ihre Kompetenzen einbringen und fokussieren können.

Insofern ist der Vorstand überzeugt und es ist keine Frage: Reformation und Architektur! Mehr...