15. November 2021

In die Zukunft blicken

Hildegard Schwaab, Beraterin am Infopoint in Schuld, Ahrtal
Foto: privat

Was die Menschen nach der Flutkatastrophe im Ahrtal bewegt, darüber sprachen wir mit Architektin Hildegard Schwaab. Sie berät Betroffene an einer der 21 baufachlichen Beratungsstellen

 

Frau Schwaab, Sie beraten Bürgerinnen und Bürger am Infopoint in Schuld. Die Ortsgemeinde Schuld wird von einer Ahrschleife eng umflossen und wurde deshalb besonders stark von der Flut getroffen. Was sind die häufigsten Fragen und Nöte der Betroffenen?
Es kommen nicht nur planerische Fragen, sondern die Leute haben einfach ein unheimliches Bedürfnis zu erzählen und sind sehr dankbar für jedes offene Ohr. Ich denke, die Betroffenen müssen einfach immer wieder darüber sprechen, was sie erlebt haben. Was das Planerische angeht, gab es sehr viele Einzelfragen. Eine war zum Beispiel, ob es einen finanziellen Ausgleich dafür gibt, dass ein neues Grundstück außerhalb der Gefahrenzone („gelbe Zone“) oder der Überschwemmungsgebiete („blaue Zone“) vermutlich teurer sein wird als das jetzige. Für die „gelbe Zone“ konnte ich diese Frage bislang noch nicht abschließend klären. In der „blauen Zone“ wird es hingegen keinen Ausgleich geben, da ein Wiederaufbau vor Ort ja möglich wäre. Ich hatte auch einen Fall, da hat jemand in der „blauen Zone“ schon mit der Sanierung begonnen und weiß nicht, ob er seine Terrasse wiederherrichten und auch wieder einen normalen Zaun um sein Haus bauen darf oder ob der Zaun gegebenenfalls klappbar sein muss, damit sich bei einem erneuten Hochwasser kein Geröll darin ansammeln kann. Denn an der Ahr hatte sich das viele Geröll aufgestaut und dann gab es diese furchtbare Flutwelle mit den schrecklichen Folgen. Teilweise konnte ich die Fragen direkt beantworten, aber bei konkreten Einzelfragen musste ich manchmal erst einmal recherchieren.

Sie müssen also vor Ort sehr gut vernetzt sein...
Ja, ich telefoniere mit Kolleginnen und Kollegen, mit dem Ministerium der Finanzen, mit der Verbandsgemeinde Adenau, mit der Kreisverwaltung Ahrweiler, mit der SGD Nord, etc.  

Wie bringen Sie Ordnung in diese Fragen und welche Schritte gilt es nun in welcher Reihenfolge abzuarbeiten? 
Es geht tatsächlich auch sehr viel um die Gutachten. Viele haben schon Kontakt aufgenommen zu Gutachtern und müssen teilweise sehr lange warten. Denn das Gutachten ist der erste Schritt. In der Regel sollte erst danach der Antrag gestellt werden. Ist der Antrag erst einmal abgesandt und sein Eingang bestätigt, muss innerhalb von drei Monaten auch das Gutachten vorliegen. Manchmal macht es auch Sinn, zuerst den Antrag zu stellen, nämlich dann, wenn die Betroffenen bereits in Vorleistung gegangen sind. Viele haben nachvollziehbar, bereits mit der Sanierung begonnen und wer einen Antrag gestellt hat, hat die Möglichkeit, einen Vorschuss zu erhalten.

Die bautechnischen Fragen sind zumeist sehr individuell. Eine Betroffene wollte beispielsweise wissen, ob sie Ihr Haus, das im Übergangsbereich von „gelber“ zu „blauer Zone“ stand und nun nicht mehr existiert, gemäß dem Einfügungsgebot wieder auf die Grenze setzen muss oder ob man es auch zurückspringen lassen kann. Weiterhin habe ich ihr geraten die verschiedenen Flurstücke zu vereinigen, so dass es baurechtlich unkomplizierter wird. Oder etwa die Frage: was darf ich in der „gelben Zone“ überhaupt noch? Darf ich wieder einen Garten anlegen und wenn ja, darf ich den einzäunen? Eine Gartenlaube wird wahrscheinlich ein Problem sein…

Können Sie denn immer weiterhelfen?
Ja, auf jeden Fall. Zwar ist das für uns alles Neuland hier und auch ich musste mich mit dem Ort erst einmal vertraut machen, aber wir haben es so geregelt, dass die Betroffenen natürlich auch ein zweites oder gar ein drittes Mal kommen können. Manchmal haben wir auch die Telefonnummern ausgetauscht und ich konnte auf diese Weise weiterhelfen, wenn ich die Antwort nicht sofort parat hatte. Andere Fragen konnten wir eben auch direkt klären. Ein Beispiel: Ein Gastank wurde beim Hochwasser beschädigt und musste abtransportiert werden. Die Frage war nun, ob hier wieder ein neuer installiert werden darf. In einem Telefonat mit der SGD Nord konnten wir dies klären. Es war möglich, aber nur unter der Voraussetzung, dass dieser in der Erde verankert wird.  

Zu was raten Sie? Auf was sollten die Bürger jetzt unbedingt achten? 
Natürlich gebe ich Hinweise, was die Reihenfolge von Antrag und Gutachten betrifft. Ich habe aber auch gemerkt, dass viele Menschen sehr belastet sind und wenig Nerven mehr für all diese Bürokratie haben. Sie wissen aber auch , dass es erforderlich ist. Aber da versucht man eben auch, ein bisschen zu beruhigen und wieder etwas Mut zu machen. Ich weise immer wieder darauf hin, dass das Gutachten das Wichtigste ist, das muss vorliegen. Manche holen sogar noch ein Zweites ein, das braucht dann eben alles seine Zeit. Zudem ist das Erstellen von Gutachten eine schwierige Aufgabe, zum Beispiel: das Haus ist weggespült und jetzt muss ein Gutachten erstellt werden über ein Haus, das es überhaupt nicht mehr gibt.

Was kann hochwasserangepasstes Bauen bewirken und wo sind die Grenzen? Macht es Ihrer Meinung nach Sinn viele Gebäude wieder an Ort und Stelle aufzubauen? Was kann man beim Wiederaufbau besser machen? Welche Chancen werden vertan?
Es ist ja so, dass alle Bauherren, deren Haus in der „blauen Zone“ noch steht, Bestandsschutz für ihr Gebäude haben. Für sie ist erstmal keine wasserrechtliche Ausnahmegenehmigung erforderlich. Auf der anderen Seite wird auch hier dringend eine hochwasserangepasste Wiederherstellung empfohlen. Wer hingegen sein Haus in der „blauen Zone“ verloren hat und wiederaufbauen möchten, der muss Auflagen zum hochwasserangepassten Bauen erfüllen.  Dabei wird jeder Fall von der SGD Nord einzeln geprüft. Gleichzeitig machen sich die Leute natürlich Sorgen, dass sie im Falle eines zukünftigen Hochwassers wieder stark betroffen sein werden. Deshalb schauen sich viele, die neu bauen müssen, nach alternativen Grundstücken um. In Schuld verhält es sich allerdings so, dass es nur wenige Baulücken gibt, die sich obendrein in Privatbesitz befinden. Folglich existieren nur wenige Ausweichmöglichkeiten. Viele wollen aber im Ort bleiben, in dem sie aufgewachsen und mit dem sie verbunden sind. Inwieweit die Gemeinde Grundstücke zur Verfügung stellen kann, ist noch nicht klar. Das ist ein Prozess und kann leider nicht von heute auf morgen entschieden werden, sodass die Menschen dort eben eine ganze Portion Geduld brauchen. Alternativ hätte man eine größere „gelbe Zone“ ausweisen können, dann hätten aber möglicherweise nicht alle in ihrer Heimat bleiben können. Ich denke schon, dass wenn man in der blauen Zone die geforderten Maßnahmen umsetzt, auch gute Lösungen gefunden werden können. Eine Möglichkeit ist beispielsweise das Aufständern. Dabei würde dann die Erdgeschosszone als Garage oder Abstellraum genutzt, der Wohnbereich würde erst mit dem ersten Stock beginnen. Somit hätte man schon eine Pufferzone gewonnen. Auch die richtige Position der haustechnischen Anlagen, wie Elektro, Heizung, etc. (zum Beispiel im Dachgeschoss) ist wichtig. Ergänzend können Hochwasserschutzmauern errichtet werden. Es gibt viele Ansätze und viele Ideen und man kann nur hoffen, dass es nachher im Gesamten funktionieren wird.

Dem Ahrtal sein Gesicht zurückzugeben, wird eine Aufgabe des Wiederaufbaus sein. Da kommen baukulturelle Fragen ins Spiel. Gibt es im Moment Raum dafür? Oder wollen die Menschen in erster Linie schnell aufbauen? Welche Aufgabe kommt hier auf die Architektenschaft und ihre Beratung zu?
Der Aufbau muss gut gemacht werden, das ist natürlich klar. Es ist nicht einfach, aber es gibt Möglichkeiten. Ich selbst wohne an der Mosel, auch hier werden bei Hochwasser die Keller der Häuser teilweise geflutet. Man bekommt das gestalterisch schon hin. Aber die meisten Menschen hier vor Ort haben tatsächlich so große andere Sorgen und sind einfach nur froh, wenn sie wieder ein Dach über dem Kopf haben und in ihren eigenen vier Wänden wohnen können. Ich glaube man macht sich schon Gedanken darüber, wie der Ort nachher insgesamt aussehen wird, aber Vielen ist mittlerweile auch klar, es wird nicht so sein wie früher. Es wird große Veränderungen geben. Und da kann man jetzt nur hoffen, dass der Wiederaufbau städteplanerisch und auch von uns als Architekten, als Planer, gut begleitet wird. Prinzipiell sollten die Arbeiten an einem neuen Ortsbild parallel schon angelaufen sein, aber mir ist diesbezüglich noch nichts bekannt.

Sie werden im Rahmen ihrer Arbeit mit viel Schmerz und Verzweiflung konfrontiert. Wie schwer fällt es, professionelle Distanz zu wahren?
Ich bekomme das glaube ich ganz gut hin. Ich bin schon sehr betroffen, aber die Leute sind so herzlich und dankbar, das erleichtert mir auch Vieles. Natürlich gibt es Situationen, in denen die Betroffenen nachvollziehbar ungeduldig oder verärgert sind, aber dieser Ärger richtet sich nicht gegen mich. Noch einmal: was wirklich wichtig ist für die Menschen hier vor Ort, ist, dass sie ein offenes Ohr finden, jemanden der zuhört, jemanden der sich kümmert in jederlei Hinsicht, also nicht nur was unseren Bereich betrifft, jemanden der auch beispielsweise im Hinblick auf die bürokratischen Abläufe weiterhilft.

Frau Schwaab, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Melanie Schulz