20. Januar 2014

Lockruf der Wildnis

Porträt Hermann-Josef Ehrenberg
Hermann-Josef Ehrenberg
Foto: Heike Rost, Mainz

In der Februar-Ausgabe 2014 des Deutschen Architektenblattes sinniert Vorstandsmitglied Hermann-Josef Ehrenberg aus aktuellem Anlass über Erwartungen und Zielsetzungen von Nationalparks.

Der Gemeindesaal in dem kleinen Hunsrückort Neuhütten war mit 70 Stühlen eingerichtet. Man musste noch einige dazustellen. Unerwartet groß war das Interesse an jenem diesigen Dezembermorgen 2013, dabei zu sein bei der Bekanntgabe der Bürgerentscheide über die Einrichtung des ersten Nationalparks an der Grenzregion von Rheinland-Pfalz und Saarland. Soweit es sich allerdings nicht um die betroffenen Vertreter der Orts- und Verbandsgemeinden handelte, war die Kleidungsfarbe grün, amtliches Forstgrün.

Es kamen die Ministerinnen der Umwelt, Frau Höfken aus Mainz und Frau Rehlinger aus Saarbrücken. Fotoapparate blitzten, Kameras strahlten, regionale und überregionale Medienteams luden zu ersten Interviews und notierten die politischen Ambitionen und protokollierten die hehren Biodiversitätsziele - global denken, lokal handeln.

Die Bürgermeister stellten ihre betroffenen Kommunen vor und rapportierten die politische Stimmungslage und prozentuale Entscheidungen, sauber umgerechnet und bilanziert, Nationalpark pro Kopf, Nationalpark pro Gemeindehektar. Ja, die Zustimmung ist groß, wenn auch nicht in jeder Gemeinde. Aber eine Quote von rund 80 Prozent rechtfertigt die politische Entscheidung. Und man ist sicher, dass die, die noch zögern oder kritisch sind, irgendwann „eingefangen“ werden.

Auf jeden Fall ist der Nationalpark nun beschlossene Sache. Man hatte sich das nicht einfach gemacht. Mehr als 400 Veranstaltungen, eine mehr als zweijährige Beratungsphase haben dafür gesorgt, dass sich die Bürger vor Ort „mitgenommen“ fühlen mussten. Sie hätten maßgeblich die Entscheidung mitbestimmt. Alle sind sich sicher, an einem zukunftsweisenden Projekt teilzuhaben. Das Lebensmittel „Wasser“ kann besser geschützt werden, Natur und Landschaft werden nachhaltig bewahrt - Heimatgefühle und Identifikation! So ganz alleine auf Natur und Wildnis zu setzen, hat offenkundig aber nicht ausreichend überzeugt. Alle Bürgermeister erinnerten an die zugesagte Infrastruktur, an Investitionen in Tourismus und prosperierende Regionalentwicklung. Ob sich diese großen Erwartungen mit den Leitbildern eines Nationalparks verwirklichen lassen? Die gesetzliche Zielstellung und Zweckbestimmung sind rigide, auch wenn der Gesetzgeber Zonierungen vorsieht. Die Erwartungen sind geweckt, der Erfolg ist versprochen.

Es wird spannend werden, wenn die Gerichte die ersten Zielkonflikte bereinigen müssen. Aber zunächst steht ein Heer forstlicher Mitarbeiter zur Verfügung. Ministerin Höfken sprach ohne Scheu von großem zusätzlichem Personaleinsatz und erheblicher Kostenbindung. Wie sich das mit den rigiden Sparmaßnahmen im Doppelhaushalt verträgt, versteht nur, wer gleichermaßen Partei- und Naturfreund ist.

Frau Rehlinger jedenfalls versprach in ihrer neuen Funktion als Wirtschaftsministerin des Saarlandes großzügige Unterstützung. Sie will dem Umweltanliegen treu bleiben, zumal aus ihrem zukünftigen Ressort beispielsweise die Tourismusmittel fließen könnten.

Wie auch immer, in Kürze startet das Gesetzgebungsverfahren, Konferenzen und Sitzungen binden und bündeln Akteure und Personal. Starter-Teams und Beiräte werden konstituiert, Studien zu Tourismus und ÖPNV in Auftrag gegeben. Und es werden Sehnsüchte erfüllt: die Ausbildung zum zertifizierten Parkranger. Im Frühsommer 2015 geht’s los, dann wird eröffnet. Aber erst dann wird sich zeigen, welche Versprechungen eingehalten werden können. „Natur Natur sein lassen“ ist das eine blumige Leitbild, die regionalen und lokalen Investitions- und Strukturerwartungen zu erfüllen ist hingegen die andere Haus(-halts)nummer. Ob das Label von Natur und Wildnis, von Rangern und Mooren eine seit Jahrzehnten institutionalisierte Ressortverantwortung für kommunale Entwicklung und Dorferneuerung wirksamer ersetzen kann? Der kritische Bürger wartet auf den Landesrechnungshof, wenn dieser Wirtschaftlichkeit und Effizienz der öffentlichen Institutionen bei der Gemeinschaftsaufgabe des demografischen Wandels bewerten wird.

Eine gesellschaftliche Debatte über die Grenzen von Wildnis, über esoterische Natursehnsucht in jahrhundertealter Kulturlandschaft, über den ethischen Auftrag eines zweckmäßigen Naturverständnisses, über Grenzen in Produktion und Medizin, in Pharmazie und Gentechnologie anzustoßen, das wäre effizient, dann hätte die Nationalparkidee eine berechtigte Chance in der Zukunftsgesellschaft von Rheinland-Pfalz.

       

Archivbeitrag vom 20. Januar 2014