24. September 2021

Städtischer Raum - aber wie?

4. Mainzer Architekturquartett
Das 4. Mainzer Architekturquartett: v.l.n.r.: Freier Landschaftsarchitekt Tobias Mann, Henriette von Hellborn, Prof. Christa Reicher, Prof. Dr. Holz-Rau
Foto: Kritina Schäfer, Mainz

Aktuelle Maßnahmen zur Aufwertung des öffentlichen Raumes waren Ausgangspunkt für das 4. Mainzer Architekturquartett am 16. September 2021 mit rund 90 Gästen im lulu.

Das Thema des 4. Mainzer Architekturquartetts „Städtischer Raum – Wie bitte?“ sei der Pandemie geschuldet, so Ina Seddig, Sprecherin der Mainzer Kammergruppe, bei ihrer Begrüßung der rund 90 Gäste. Gerade der Lockdown habe die Schwächen der innerstädtischen Räume, vor allem der Freiflächen, gezeigt. Die Frage nach der Resilienz einer Stadt werde durch Corona neu gestellt. Klimakrise, soziale Ungleichheit und Gesundheitsrisiken müssten von den Entscheidern der Stadtentwicklung mutig mitgedacht werden. Diese Überlegungen zitierte Ina Seddig aus Analysen der Zukunftsforscherin Doris Sibum.

Das Podium freute sich, dass das Mainzer Architekturquartett das Thema öffentliche Freiräume aufgriff. Im Vorfeld hatten sich die Experten mit den Örtlichkeiten unter der Führung des Kammergruppenteams intensiv vertraut gemacht. Dem Publikum stellte Stefan Bitter, Teammitglied und Landschaftsarchitekt, die Projekte anhand von Vorher-Nacher-Fotos und den Wettbewerbsunterlagen ausführlich vor. Die zur Diskussion stehenden freiraumplanerischen Maßnahmen, Bahnhofstraße – Münsterplatz – Große Langgasse, sollen die wichtigste Fußgängerverbindung zwischen Hauptbahnhof und Innenstadt bis zur Schillerstraße aufwerten. Eine Reduktion des Individualverkehrs und der Parkflächen, kombiniert mit Tempolimits, sollen den Radfahrern und Fußgängern mehr Platz und Sicherheit geben und die Attraktivität des Straßenraumes erhöhen.

Die zur Diskussion stehenden Mainzer Projekte sollten beispielgebend für folgende sein, schlug Prof. Christa Reicher, RWTH Aachen, Leiterin des Instituts für Städtebau und Europäische Urbanistik, vor. Einheitliche Materialien und Ausstattungen könnten der Stadt so ein regionaltypisches Gesicht verleihen. Generell sagte sie aber „Konzepte müssen radikaler aufgestellt werden, aber den Politikern fehlt es an Mut“. Mit der Stadt als Reallabor, in der man Dinge wie das Sperren ganzer Straßenzüge erprobe, könne man Qualitäten der Veränderung unter Mitnahme der Zivilgesellschaft erkennen. „Wir müssen die Innenstädte neu erfinden was die Nutzungen angeht, sie werden sich verändern.“ Damit sprach Reicher die Reduktion des Einzelhandels aufgrund von wachsendem E-Commerce und zuletzt der Pandemie an. Leerstehende Ladenlokale könnten für das Wohnen oder für alternative Working-Spaces genutzt werden.

Prof. Dr. Christian Holz-Rau, TU Dortmund, Fakultät Raumplanung, Fachgebiet Verkehrswesen und Verkehrsplanung, stellte die Frage in den Vordergrund, wie die Verteilung der Flächen in den Innenstädten ausgehandelt wird. In den Entwurfsplänen der Landschaftsarchitekten seien keine parkenden Autos dargestellt worden. Die Qualitäten des Entwurfs müssten in der baulichen Umsetzung erlebbar bleiben. Dreh- und Angelpunkt müsse es sein, den fließenden und den ruhenden Verkehr aus den Innenstädten zu bringen. Der Aspekt der Gesundheit für das Arbeiten und Wohnen in der Stadt habe auch in Paris schlussendlich bei der Politik überzeugt.

Tobias Mann, Freier Landschaftsarchitekt aus Fulda, lobte ebenso die Qualität in der Umsetzung der Mainzer Projekte. Jedoch sei die Struktur von Mainz nach wie vor zu stark auf das Auto ausgerichtet. „Die Stadt ist wahnsinnig laut“ und auf dem Münsterplatz sei viel zu viel Verkehr. Mann beklagte, dass die Bedeutung der Freiraumgestaltung generell unterschätzt werde. Bereits kleine Maßnahmen wie das Pflanzen von Bäumen seien wichtig, und: „Freiraumplanung setzt Architektur in einen neuen Kontext.“

Die Frage nach Ressourcenschonung bei Neubauprojekten und einem notwendigen Partizipationsschub in den Planungsprozessen stellte Henriette von Hellborn, SWR-Kulturredakteurin und Filmemacherin. Die Bürger sollten entscheiden, was sie brauchten. Reicher bestätigte, dass Partizipation vor allem die Akzeptanz bei Maßnahmen fördere, aber: „Beteiligung muss mit Fachexpertise gekoppelt sein.“

Planungsbeteiligte der Mainzer Projekte

Bahnhofstraße und Münsterplatz
bis LPH 6: BIERBAUM.AICHELE.landschaftsarchitekten Part.GmbB, Mainz | ab LPH 7: Stadt Mainz
Haltestelle Münsterplatz: SCHOYERER ARCHITEKTEN_SYRA, Mainz

Große Langgasse
Club L 94 Landschaftsarchitekten, Köln | Schüßler-Plan Ingenieurgesellschaft, Düsseldorf

Zu den Projekten

Auch wenn die zur Diskussion gestellten drei Mainzer Planungsgebiete städtebaulich eng verknüpft sind, weisen sie sehr unterschiedliche Strukturen auf. Die Bahnhofstraße mit Blockrandbebauung ist stark vom ÖPNV geprägt. Sie mündet in den Münsterplatz, einem Verkehrsknotenpunkt, auf den fünf Straßen stoßen. Die Planer bündelten alle Infrastrukturelemente, wie Wartehäuschen, Automaten, Masten, sowie die neu gepflanzten Bäume in einem schmalen „Ausstattungsband“ und hielten die restliche Fläche des neu entstandenen Boulevards für Bewegung und Aufenthalt offen. Der Wettbewerbspartner hat am Münsterplatz eine markanten, zentrale Bus- und Straßenbahnhaltestelle errichtet, die den Kreuzungspunkt gestalterisch aufwertet.

Die Große Langgasse weist als Folge der großen Kriegsschäden eine sehr heterogene Bebauung auf, die sich an einmündenden Querstraßen zu kleinen Platzsituationen öffnet. Mit vier Fahrstreifen war auch sie vor der Baumaßnahme stark belastet. Eine verkehrsberuhigte Allee mit erhaltenen und neuen Platanen ist entstanden. Sie weitet sich zu Plätzen wie dem neuen Dr.-Elisabeth-Thews-Platz mit Aufenthaltsbereichen auf. Ein Tempolimit von 20 km/ha und das Angleichen der Niveaus von Fahrbahnen und Fußgängerweg schaffen ein ruhiges Straßenbild.