23. Mai 2023

An die Arbeit!

Gesprächsrunde (v.l.n.r.): Prof. Achim Pfeiffer, Viktoria Sramek, Marie-Christine Werner, Marcel Albert Kremer
Gesprächsrunde (v.l.n.r.): Prof. Achim Pfeiffer, Viktoria Sramek, Marie-Christine Werner, Marcel Albert Kremer
Foto: Kai Mehn, Neustadt

Das zehnte Hambacher Architekturgespräch am 9. Mai 2023 rückte Monumente des Industrie- und Gewerbebaus in den Mittelpunkt.

„Bei Industriedenkmälern denkt man nicht sofort an Rheinland-Pfalz. Doch auch hierzulande gibt es Beispiele für Industriekultur wie die Sayner-Hütte in Bendorf, die an eine dreigeschossige Basilika erinnert, das Industriedenkmal Jacob Bengel in Idar-Oberstein oder die denkmalgeschützte Liller Halle in Speyer, in der einst Flugzeuge hergestellt wurden und heute das Technikmuseum untergebracht ist“, begrüßte Moderatorin Marie-Christine Werner, Leiterin Landeskultur im SWR2, die rund 200 Gäste im Hambacher Schloss sowie zahlreiche weitere Teilnehmende an den Bildschirmen zu Hause. Doch wie können Industriedenkmäler umgenutzt und so vor dem Verfall bewahrt werden? Wie kann das bauliche Erbe gesichert und weiterentwickelt werden? Gute Konzepte sind gefragt, die sowohl den gestalterischen als auch den denkmalpflegerischen Anforderungen gerecht werden. Mit dem ehemaligen Schlachthof in Worms und dem Eisenbahnausbesserungswerk in Betzdorf wurden am Abend zwei aktuelle Beispiele aus Rheinland-Pfalz vorgestellt.

Zunächst aber kamen die Initiatoren des Gesprächsabends zu Wort: So unterstrich Kammerpräsident Joachim Rind die große Bedeutung der Industriedenkmäler für die Identität eines Ortes. Die Industriearchitektur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zeichne sich durch Sparsamkeit, Nachhaltigkeit und Langlebigkeit aus. Dienten Industriebauten früher insbesondere auch der Repräsentanz, seien heute primär wirtschaftliche Faktoren bestimmend. Landeskonservatorin Dr. Roswitha Kaiser, Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, betonte, dass Industrie- und Gewerbebauten mit besonderem Zeugniswert identitätsstiftend und daher schützenswert seien. Dem schloss sich Landrat Hans-Ulrich Ihlenfeld an und verwies auf die ehemalige Gesangbuchfabrik in Grünstadt. Das Jugendstil-Ensemble verwandelt sich in einen neuen Wohn-Hotspot.

Einzeldenkmal oder Quartier?

Am Beispiel des ehemaligen Schlachthofes in Worms von 1912 berichtete Architektin Viktoria Sramek, Lengfeld & Wilisch Architekten PartG mbB (Darmstadt), von den Herausforderungen für Planende: Abgesehen von der Größenordnung eines solchen Umbauprojektes sei es schwierig, Fachfirmen mit dem nötigen Know-how und Erfahrung zu finden sowie die an Barrierefreiheit und Brandschutz gestellten Anforderungen nachzurüsten. Bis Ende 2024 sollen im nördlichen Teil der Schlachthalle Shops und Gastronomie, im südlichen Teil eine Eventhalle entstehen. Für das ehemalige, weitgehend erhaltene Kühlhaus sind im Erdgeschoss ein Restaurant und in den Obergeschossen Büroflächen vorgesehen. In der Eisfabrik mit ihrer besonderen Betonkonstruktion soll ein Eventbereich mit einer Bar Platz finden, in den Turmgeschossen weitere Bürobereiche. Das Ensemble erhalte ein neues Gesicht, da die Ergänzungen sich bewusst vom Bestand abheben. Zugleich bilden Alt und Neu eine Symbiose, betonte Sramek.

Lost Places neu erfinden

Marcel Albert Kremer aus Diez präsentierte die geplante Revitalisierung des Eisenbahnausbesserungswerkes in Betzdorf. Mit seinem Konzept des Erhalts des Industriedenkmals hatte sich der Investor im Vergabeverfahren durchgesetzt und den Zuschlag erhalten. Kremer, der bereits in Limburg ein vergleichbares Projekt realisiert hat, konstatierte: „Ein Grundstück dieser Größe kann nicht auf einmal entwickelt werden, sondern in Abschnitten.“ Das 50.000 Quadratmeter große, zentral gelegene Grundstück mit 10.000 Quadratmetern denkmalgeschützter Flächen stand jahrelang leer. Die Natur hatte sich viele Räume zurückerobert, die Hallen waren in desolatem Zustand. Als neues Innenstadtquartier mit Gesundheits- und Pflegezentrum, Einzelhandel und 200 Wohnungen soll dem ehemaligen Eisenbahnausbesserungswerk nun wieder Leben eingehaucht werden. Um den „einzigartiger Industriecharme“ erhalten zu können, sei ein gutes Team und eine breite Unterstützung gefragt – sowohl seitens der Stadt, als auch durch künftige Mieter, die ausreichend Fantasie und Vorstellungsvermögen mitbringen müssten, so Kremer.

Urbane Partizipation

Sozusagen aus dem Mutterland der Industriedenkmäler, aus Nordrhein-Westfalen, stellte Architekt Prof. Achim Pfeiffer, Böll Architekten GmbH (Essen), die alte Samtweberei in Krefeld vor, die zu einem Wohnquartier umgebaut wurde. Das von der Montag Stiftung moderierte, partizipative Projekt sei gut angenommen worden, Bewohner:innen der ersten Stunde noch heute zufriedene Mieter:innen. Insbesondere der neue Laubengang mit Gemeinschaftsterrassen biete besondere Aufenthaltsqualitäten.

Identität bewahren

In der abschließenden Gesprächsrunde wurde noch einmal ganz deutlich: Die Revitalisierung von Gewerbe- und Industriedenkmälern verlange allen Beteiligten viel ab, insbesondere Geduld. Es lohne sich aber allemal. Denn Industriedenkmäler sind wichtige Identitätsträger und damit ein Stück unseres kulturellen Erbes, das es zu erhalten und in die heutige Zeit zu überführen gilt. Damit die Transformation gelingt, bedürfe es einer genauen Bedarfsanalyse, eines engen Austausches zwischen Planer:innen, Brandschützer:innen und Denkmalpfleger:innen sowie angesichts stark gestiegener Energiekosten innovativer Konzepte, die den Einsatz regenerativer Energien wie Photovoltaik-Anlagen mitdenken. Zudem müsse der bisweilen sehr komplizierte Prozess vereinfacht werden. Pfeiffer sah da auch die Gesetzgebung in der Pflicht und plädierte für eine Gebäudeklasse E, bei der Bauherren und Architekten im gegenseitigem Einvernehmen von etablierten Baustandards abweichen können. Einig war man sich auch, dass Bauen im Bestand zurecht an Bedeutung gewinne. Schließlich entfallen knapp 60 Prozent des gesamten Abfalls in Deutschland auf die Baubranche. Doch auch Neubau werde weiterhin benötigt. Dabei sollte auf demontable Konstruktionen und flexible Grundrisse gesetzt werden, um eine Sanierung und/oder Umnutzungen zu ermöglichen. Wie so oft ist der Mittelweg das Gebot. Der Abend klang mit guten (Architektur-)Gesprächen bei Pfälzer Wein aus.