Rückblick Wort und Raum


Text von Hermann-Josef Ehrenberg

Landschaftsarchitekt Kaiserslautern
Vorstandsmitglied und Projektleiter "Reformation und Architektur"

Das Wort schafft Raum, das Gespräch braucht ein Gegenüber, es entsteht ein Raum, ein topologischer Raum, ein sozialer Raum. Räume sind mathematisch bemessen, sie sind exakt, identisch, absolut. Die Philosophie kennt einen noch wesentlich weiteren Raum, einen sinnlichen Erfahrungsraum, in dem wir uns einfinden oder auch nicht, er ist fremd oder vertraut, unheimlich oder anheimelnd, auf jeden Fall mit einer ästhetischen Wahrnehmungsqualität, die man möglicherweise seit früher Kinderzeit nie vergisst.

So ungefähr und noch viel theoretischer begann die Auftaktveranstaltung der Vortragsreihe „Reformation und Architektur“, mit der die Architektenkammer Rheinland-Pfalz an repräsentativem Verkündigungsort der Mainzer Protestanten, in der Christuskirche an der Kaiserstraße, Ende März ein ehrgeiziges Projekt gestartet hat. Etwa 130 Anmeldungen ließen auf ein großes Interesse schließen, ganz so, wie es die didaktische Motivation der Veranstalter gewollt hat, offen und öffentlich, auf jeden Fall interdisziplinär. Die Teilnehmerliste wies Theologen und Architekten auf, Haupt- und Ehrenamtler aus Kirche und Gemeindearbeit, Mitarbeiter von Architekturbüros und Universität, von kirchlichen und weltlichen Bau- und Denkmalämtern.

Insgesamt also ein vielseitiges Plenum, das sich um den zentralen Tisch der Christuskirche versammelt hat, um den Vorträgen zu lauschen und an den Diskussionen teilzunehmen. In beeindruckender Wiese gewann Prof. Weyer-Menkhoff, seit über einem Jahr schon der theologische Beirat des Kammerprojektes, Aufmerksamkeit und gespannte Stille, als er in statuarischer Selbstverständlichkeit mit dem Wochenpsalm zunächst dem Hausherrn Dank sagte und anschließend die Gastgeberin, Pfarrerin Frau Bettina Klünemann begrüßte. Die Grußworte des Präsidenten der Architektenkammer, Gerold Reker, wiesen bereits mit Tiefenschärfe auf die philosophischen Erfahrungsräume und auf die leibliche Wahrnehmung unserer gebauten Umwelt. Doris Ahnen, Ministerin für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur, freute sich, dass die Architekten aus der Zivilgesellschaft heraus ein derart wichtiges Projekt zur Lutherdekade beitragen wollen und sich thematisch in die offizielle Themenreihe der EKD „Reformation und … „ einreihen. Sie stellte die verschiedenen Orte der Reformation im Lande vor und unterstrich ihren Wunsch, dass die Lutherdekade alle Religionsgemeinschaften erreiche, möglicherweise auch einen Beitrag zur Ökumene werde.

Walter Sparn, emeritierter Professor für Systematische Theologie an der Universität Erlangen, stellte in hochwissenschaftlicher Diktion die Räumlichkeit von Religion vor. In evangelischer Glaubensüberzeugung, da wo kein Bibelwort gesprochen, wo Gottes Wort fehlt, brauchen wir keinen Raum, da kann das Kirchenhaus niedergerissen werden. Gott wirke nicht aus einem Raum heraus, sondern aus der Zeit in die Gegenwart hinein. Der Raum wird zweitrangig, die Funktion des Ortes wirkt, sie macht ihn zum Erfahrungsraum für Glaube und Gottvertrauen.

Prof. Dr. Stephan Grätzel, Praktische Philosophie an der Universität Mainz, startete mit einer gewagten Kritik an der Bauhausarchitektur und den Wohnmaschinen der zwanziger Jahre ebenso wie an mancher zeitgenössischer Vorortkulisse. Möglicherweise waren den anwesenden Architekten die philosophischen Differenzierungen geläufig, zumindest dann, wenn sie Gernot Böhme und das Atmosphärische der Architektur studiert haben. Auf jeden Fall bestätigte er mit systematischer Analyse die berufliche Erfahrung, die Gerold Reker bereits im Eingangsstatement über die leibliche Wahrnehmung des Raumes und die Unvergesslichkeit kindlicher Erfahrungswelten daheim und in der Fremde vorgetragen hatte.

Nach der wunderbar sonnigen Mittagspause mit kundiger Kirchenführung für alle hat es etwas gedauert, bis die Konzentration wiederhergestellt war. Doch unser Moderator, Stephan Weyer-Menkhoff hatte auch in diesem Moment die Geduld, sich inmitten des Zentralraumes aufzustellen und zu warten, bis er in völliger Stille aus dem Gedächtnis ein Gedicht zu Raum und Zeit vortrug.

Leider hatte sich Prof. Georg Franck, Architekturtheoretiker von der Universität Wien, nur wenig oder gar nicht auf einen Reformationsbezug eingelassen. Dennoch, seine etwas zu langen Ausführungen über das Fraktale des Raumes und die Selbstorientierung auch der chaotischen Favelas südamerikanischer Großstädte war durchaus faszinierend. Nicht zuletzt die pulsierenden Gefäße seiner Beispielstadt Wien, die im Rhythmus von Tag- und Nachtleben die Hierarchie von Straßen und Räumen widerspiegeln, waren zumindest beeindruckende Animationen, auch wenn die Zwischenfrage einer Teilnehmerin nach dem Reformationsbezug berechtigt war.

Zum Abschluss dann ein ganz konkretes Architekturprojekt, die Sanierung und Neugestaltung der Taufkirche von Martin Luther in Eisleben. Tilmann Dorn, damals Projektleiter bei AFF Architekten (Berlin) zeigte das einfühlsame Ergebnis für einen liturgischen Vollzug, der auch in der evangelischen Kirche sakramentale Bedeutung hat. Spätestens an dieser Stelle wäre meine Frage nach einem „ökumenischen Raum“ angebracht gewesen, ein Raum, in dem das Wort und die Liturgie zentrale Glaubensvollzüge beider Konfessionen beheimaten. Das muss ich an anderer Stelle nachholen.

In der abschließenden Diskussion versuchte Weyer-Menkhoff noch einmal, die Referenten auf den interdisziplinären Ansatz einzuschwören, zunächst etwas befremdlich mit einem Laotse-Zitat über die Mitte und das Nichts, über das Innere des Rades, ohne das das Äußere der stützenden Speichen gar nicht sein kann. Die Diskussion lief etwas schleppend und bestätigte dem interessierten und engagierten Zuhörer, wie ungewohnt doch das Interdisziplinäre ist, wie wichtig das Aufeinanderhören und die wechselseitige Aufmerksamkeit sind.

Die abschließenden Meinungen der Teilnehmer waren geteilt. Es war nicht alles leicht zu verstehen, nicht nur akustisch nicht. Die Vorträge waren teilweise eine große akademische Herausforderung, deren Bedeutung und Inhalt nur ganzheitlich verständlich werden konnten. Eine kritische Bewertung nach nur selektiver Teilnahme wird dem interdisziplinären Ansatz nicht gerecht. Fremdwörter heißen nicht ohne Grund „Fremd“wörter.

Tagungsbroschüre MEHR (PDF, 357 KB)
Einladungsflyer der Auftaktveranstaltung MEHR (PDF, 727 KB)

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