Rückblick Bildender Raum

Im Casimiranum, das 1578 als calvinistische Universität in Neustadt gegründet wurde und Ausweichquartier für die damals lutherische Universität Heidelberg war, ging es im März 2015 um den Einfluss der Reformation auf Bildung und damit auch auf das Bauen von Bildungseinrichtungen.

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Text von Reinhard Hübsch

„Wir brauchen eine Föderalismusreform, nicht nur für die Forschung, sondern vor allem für die Bildungspolitik“ - politische Befunde wie dieser der Berliner Soziologin Prof. Jutta Allmendinger waren auf dem 3. Symposium „Reformation und Architektur“ häufig zu hören. Ausgangspunkt der Vorträge und der Schlußdiskussion im Casimiranum in Neustadt an de Weinstraße war die Frage, wie in Folge der Reformation Bildung (und eben Bildungsbauten) verändert wurden und noch werden. In einem zumindest waren Diskutanten sich einige: Die Ideale, die Luther 1517 proklamiert hatte, stehen in mehr oder minder großer Distanz zum  Alltag am Anfang des 21. Jahrhunderts  stehen. Und deshalb diagnostizierte Carl Zillich denn auch ein derart vehementes Knirschen im Gebälk der Gegenwart, daß eine neue bildungspolitische Reformation für ihn nahezu unausweichlich ist - nur, so fragte sich der Kuratorische Leiter der „Internationalen Bauaustellung“ in Heidelberg (die unter dem Motto „Wissen schafft Stadt“ steht), wodurch dieser Prozeß initiiert werden könnte: „Einen neuen Luther“, so Zillich, „brauchen wir dazu allerdings nicht.“

Doch nicht nur Zillich und Prof. Allmendinger, die Präsidentin des Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, sehen enormen Handlungsbedarf, sondern auch Prof. Karlo Meyer. Der Saarbrücker Religionspädagoge, der in seinem  Vortrag den humanistischen Impetus Luthers in den Vordergrund stellte (der dann von Melanchthon aufgegriffen und fortgedacht worden war), sah diesen Impetus derzeit ausgebremst und forderte deshalb mehr Phantasie im schulischen Alltag; die Schulen der Gegenwart, so Meyer, bieten den Anforderungen wie den Möglichkeiten der Zeit kaum Rechnung trage. Im Gegenteil, so war immer wieder zu hören, viele Bauten atmeten immer noch den Geist des Wilhelminismus, der pädagogische Zuchtanstalten wie Kasernen bauen ließ, in denen Klassenräume an langen Korridoren aufgereiht wurden. Diese Architektur von Kadettenanstalten werden im heutigen Jargon als „additiv“ kategorisiert, so der Architekt Prof. Jörg Aldinger aus Stuttgart; doch auch die rechtlichen Bestimmungen erwiesen sich, so Aldinger, immer wieder als Hindernis, um neue Spielräume in Schulbauten zu eröffnen.

Aldinger, der anhand zahlreicher Beispiele aus seinem Büro zeigte, wie zeitgemäßer Schulbau aussehen kann, provozierte damit unweigerlich eine Kontroverse zur Frage, ob Schule ein (gebauter) pädagogischer Schutzraum sein müsse. Prof. Allmendinger plädierte vehement für eine Einbettung von Schule in andere soziale und kulturelle Kontext, wenn sie etwa die Gesamtschule Bremen-Ost anführte, die in einem sozialen Brennpunkt entstanden und die zugleich Sitz der renommierten Deutschen Kammerphilharmonie  ist; und auch das in Stuttgart angesiedelte Anna-Haag-Mehrgenerationenhaus (Entwurf: aldingerarchitekten), das als Bildungszentrum für ein ganzes Quartier wirkt, nannte sie vorbildlich. Prof. Mayer dagegen möchte Schule von gesellschaftlicher Wirklichkeit zumindest partiell abgekoppelt wissen, um Schülern konzentriertes Lernen (und eben auch risikoloses Scheitern) zu ermöglichen. Und auch Carl Zillich mahnte zur Vorsicht, wenn er als abschreckende Beispiele US-amerikanische Schulzentren anführte, in denen Ladenpassagen integriert sind und in denen auch Werbeflächen zur Verfügung stehen.

Reformation und Realität: Wie groß die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit sein kann, demonstrierte eindrücklich der Neustadter Schulleiter Hartmut Loos, der am Kurfürst-Ruprecht-Gymnasium mit einem Anachronismus brechen wollte, als er das Diktat der 45 Minuten währenden Schulstunde aufgeben und auf das schulweite Pausenzeichen verzichten wollte - ein Aufstand der Kollegen, Eltern und Schüler, so Loos, sei die Folge gewesen.

Die anspruchsvolle Debatte in Neustadt - übrigens im Schatten des Hambacher Schlosses, vom dem nicht eine theologische, sondern eine politische Revolution ihren Ausgang nahm - plädierte temperamentvoll dafür, die Verkrustungen einer nachreformatorischen Bildungspolitik zu sprengen. Gleichwohl: Einfach wird ein solches Unternehmen nicht werden, war sich das Quintett einig. Denn nicht nur die politischen, juristischen und pädagogischen Rahmenbedingungen erweisen sich als immer noch stabil; dazu komme, daß ein neuer Akteur in den bildungspolitischen, in den städtebaulichen und architektonischen Auseinandersetzungen Platz genommen habe, der dabei ist, das Primat zu übernehmen: die Ökonomie. Nachdem im historischen Prozeß die Theologie als treibende Kraft von der Politik abgelöst wurde, übernehme gegenwärtig die Wirtschaft und mit ihr ein potenter Kapitalismus das Zepter, und mit dem müsse man sich kritisch auseinandersetzen. Doch so skeptisch sich die Soziologin Allmendinger, der Architekt Aldinger, Religionspädagoge Meyer, Pädagoge Loos und Zukunftsforscher Zillich auch zeigten: Beim Blick in die Gegenwart mit ihren ökonomischen und sozialen Verwerfungen geben, so ein Konsens, die Digitalisierung unseres Alltags sowie die Globalisierung (die eine fruchtbare Internationalisierung des Bildungsalltags wie auch der Architektur zur Folge haben) genügend Ansätze zu Hoffnung und Optimismus.